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Die Entwicklung des Fallschirmes der Serie RS-9

(auf dem RÜCKEN getragener SPRUNGFALLSCHIRM-9)

In den Jahren 1973 / 1974 wurde eine erweiterte Aufgabenstellung durch die Spezialisten des Fallschirmdienstes aller fallschirmspringenden Einheiten der NVA erarbeitet, welche über die Arbeitsgruppe Fallschirmdienst aus dem Kommando der Landstreitkräfte als Entwicklungsauftrag an den VEB Bekleidungswerke Seifhennersdorf (BEWES) zugestellt wurde. Damit schaffte man theoretische und funktionelle Voraussetzungen für die weitere Entwicklung eines neuen Sprungschirmes für die Nationale Volksarmee.

Welche Probleme des RS-4/4 zeigten sich und mussten behoben werden:

  • Der Verpackungssack des RS-4 wurde durch drei Metallstifte, die an einem Aufzugsseil aufgelötet waren, verschlossen. Bei Sprüngen über die Heckrampe wurden diese Stifte entgegen der Steckrichtung unter hohem Druck aus den Metallkegeln herausgezogen. Gerade durch die starke Belastung, beispielsweise durch die hohe Absetzgeschwindigkeit, bestand hierbei die Gefahr einer Beschädigung bzw. des Abrisses der Stifte und des Kabelschlauches.
  • Die Phase der Streckung des Systems, beginnend vom Absprung über die Öffnung des Verpackungssackes, die Entfaltung des Hilfsschirmes und des Stabilisators bis zur Sperrung der Öffnung durch das Doppelkegelschloss und die Verriegelungsbänder, war zu lang. Bis der Fallschirmjäger stabil am Schirm hing, musste ein Weg von 5,5 m überwunden werden.
  • Bei fehlerhafter Absprunghaltung bestand eine erhöhte Gefahr der eigenen Drehung oder des Überschlagens und der damit einhergehenden Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung des Fallschirmes.

An dem neu zu entwickelnden Fallschirm wurden deshalb diese Anforderungen gestellt:

  • Es sollte zukünftig nur noch eine Packvariante für alle Arten der Öffnung geben. Die Öffnungseinleitung sollte ausschließlich über die Aufzugsleine erfolgen.
  • Die maximale Absprunggeschwindigkeit wurde auf 400 km/h festgelegt.
  • Im Hinblick auf Luftlandeoperationen unter Einsatz von Truppen in Kompanie- bzw. Bataillonsstärke und mehr sollte der Fallschirm nach Möglichkeit neutral sinken, aber trotzdem in Landerichtung steuerbar sein.
  • Zusätzlich sollte Vor- und Rückschub regulierbar gemacht werden, damit Landungen bei Bodenwinden bis zu 12 m/s gefahrlos durchgeführt werden konnten. Nach der Landung sollte eine spezielle Vorrichtung die einseitige Trennung der Kappe ermöglichen.

Mit diesen Grundlagen startete man eine gemeinsame Zusammenarbeit aller Bedarfsträger der bewaffneten Organe, dem BEWES und der staatlichen Luftfahrtinspektion (SLI) in der „selbstständigen Arbeitsgemeinschaft Fallschirmtechnik“ unter Leitung der SLI.

Die ersten Funktionsmuster wurden auf den Sprungplätzen des MfS in Eilenburg, der Luftstreitkräfte in Kamenz sowie im Fallschirmjägerbataillon getestet. Ab 1972 hat das Bekleidungswerk Seifhennersdorf auf Forderung der NVA einen eigenen Erprobungsspringer angestellt. Günter Seibt übernahm diese Aufgabe und führte bei Neuentwicklungen aller Funktions- und Fertigungsmuster die Erstsprünge durch. Seibt kam 1973 als Wehrpflichtiger in das FJB-40 und wurde nach der Grundausbildung Fallschirmwart. Seine Erfahrungen konnten so in die Fallschirmentwicklung mit einfließen.

Die wichtigste Neuerung war die Gewährleistung einer schnellen Stabilisierung durch eine kurze Streckung des Systems. Der Stabilisator bestand jetzt nur noch aus Lamellen und hatte keine Fangleinen mehr. Er wurde mittels Federring mit der Aufzugsleine verbunden. Nach Absprung aus dem Flugzeug öffnete sich die obere Klappe des Verpackungssackes und der Stabilisator streckte sich. Dann erfolgte die Streckung des Verzögerungssacks bis zu den Verriegelungsbändern und erst dann die Trennung vom Federringsystem der Aufzugsleine. Der Stabilisator war dabei direkt am Verzögerungssack befestigt; der Abstand zwischen Stabilisator und den Verriegelungsbändern betrug nur noch 50 cm.

Mit diesem Aufbau des Fallschirmsystems gab es keinerlei negative Erfahrungen bei der Erprobung der Funktions-und Fertigungsmuster aus der Mi-8 und AN-2.

Der neue Fallschirm mit der Bezeichnung RS-9 hatte eine kleinere Kappe mit nur noch 28 Bahnen und einer Fläche von 66 m². Rechts und links waren 4 Steuerschlitze vorhanden. Die 3 Bahnen zwischen den Steuerschlitzen wurden als Steuer- bzw. Kippbahnen bezeichnet. Die Anordnung gewährleistet das geforderte neutrale Sinken nach der Öffnung des Fallschirms. Das Steuersystem des RS-9 bestand aus den Steuerleinen mit Steuerknebeln und den Vorschubleinen mit den Vorschubgriffen.

Drehungen des Fallschirmes in die Landerichtung ohne Vorschub wurden über die Steuerknebel eingeleitet, welche sich am hinteren Zwischengurtzeug befanden. Weiterhin konnte man mit ihnen die Landegeschwindigkeit regulieren, indem man mit beiden Steuerknebeln die Eigenfahrt des Schirmes bedingt durch den Bodenwind „wegzog“. Diese Art der Landung wurde als LANDEVERFAHREN 2 festgelegt und bezeichnet.

Durch das Herunterziehen und Einhaken der Vorschubgriffe am vorderen Zwischengurtzeug bekam der RS-9 eine Eigengeschwindigkeit von etwa 3 m/s und hatte damit ungefähr die gleichen Eigenschaften wie schon der RS-4/3 oder RS-4/4. Bei Windgeschwindigkeiten bis maximal 6 m/s wurde dann im LANDEVERFAHREN 1, also mit Vorschub und gegen den Wind gelandet. Angewendet wurde dieses Landeverfahren ausschließlich bei Tagsprüngen sowie beim Einsatz von kleineren Gruppen auf Landeflächen mit geringen Ausmaßen.

Eine weitere Veränderung wurde am Verpackungssack vorgenommen. Der RS-9 hatte 4 Verschlussklappen, wobei die obere eine besondere Form aufwies, weil sie den Stabilisator aufnahm. Der Verschluss des Verpackungssackes erfolgte durch zwei abgerundete Vorstecker; einer war an der Aufzugsleine, der zweite unten am Verpackungssack befestigt.

Untere abgerundete und obere abgerundete Vorstecker:

Im Juni 1975 erfolgte eine weitere Erprobungsphase für den RS-9, das Springen aus der AN-12 bei 300 km/h durch den Erprobungsspringer. Beim Verlassen des Absetzflugzeuges über die Heckrampe überschlug sich Günter Seibt und klemmte dabei den Stabilisator zwischen seine Beine ein. Durch die Beschattung konnte sich der Stabilisator nicht entfalten. Auch der kurze Abstand zu den Verriegelungsbändern wirkte sich jetzt negativ aus. Der Stabilisator konnte den Bereich der Beschattung nicht überwinden. Durch die Öffnung des neuen Rettungsgerätes BE-8 entkam Seibt dieser gefährlichen Situation und landete sicher am Boden.

Auf Grund dieses Vorfalls kam man zur Erkenntnis, dass der Stabilisator mehr Freiheit zur einwandfreien Entfaltung und Gewährleistung seiner Zugfunktion benötige.

Mit Puppenabwürfen testete man verschiedene Verlängerungen, immer mit besonderem Augenmerk auf die einwandfreie Funktion des Brustersatzschirmes während des stabilisierten Falls. Dabei fand man heraus, dass eine Verlängerung von 1,5 m optimal war. Dieses „Zwischenstück“ wurde als Stabilisatorleine bezeichnet und zwischen Verzögerungssack und Stabilisator eingesetzt. Erprobungssprünge bestätigten die tadellose Funktion. Insgesamt war die Öffnungseinleitung trotz Verlängerung des Systems wesentlich besser als beim Vorgängermodell. Der Längenunterschied zwischen RS-4/4 und RS-9 betrug trotz Stabilisatorleine immer noch 3,5 m und dadurch wurde eine schnellere Führung des Springers erzielt.

Heckrampe einer AN-26

Ende 1975 fand die Erprobung des RS-9 seinen Abschluss mit einer insgesamt positiven Bilanz und bereits im Folgejahr fertigte man in Seifhennersdorf die erste Serie des Fallschirmes.

Im Juni 1976 fand das erste Springen aus dem neuen Absetzflugzeug der Nationalen Volksarmee, der AN-26 statt. Eine Besonderheit dieses Luftfahrzeuges war die Anordnung der Rampe während des Absetzens, welche unter den Rumpf gefahren wurde. Wie schon bei den Flugzeugtypen AN-8 und AN-12 wurden zusätzlich zu den Aufzugsleinen Verlängerungen von 80 cm benutzt, damit die Aufzugsleinen richtig durch die Leinenfangvorrichtung der AN-26 gehalten werden konnten und die nachfolgenden Springer nicht in die Leinen des Vordermanns gerieten. Diese Verlängerung war kein Bestandteil des RS-9.

Einsatzbedingungen des RS-9:

Der Sprungfallschirm RS-9 konnte mit automatischer Öffnung 2 - 5 s, manueller Öffnung und auch mit Sofortöffnung eingesetzt werden. Die Variabilität in den Einsatzbedingungen bezüglich der Sprunghöhe und der Absetzgeschwindigkeit wurde durch die verschiedenen Fallzeiten mit geöffnetem Stabilisator, den sogenannten Stabilisierungszeiten, bestimmt.

Bei Fallschirmsprüngen mit automatischer Öffnung bis zu 5 s erhielt der Automat PPKU bzw. KAP-3 erhöhte Bedeutung, da er nicht mehr nur ein sicherndes Gerät wie bei der manuellen Öffnung war, sondern das Entriegeln des Doppelkegelschlosses vornahm und damit den Öffnungsvorgang des RS-9 direkt einleitete.

Die in der nächsten Tabelle angegebenen Werte sind technische Kenngrößen des Fallschirmes, die experimentell durch Puppenabwürfe aus einem horizontal fliegendem Absetzflugzeug / Hubschrauber ermittelt wurden.

Flugzeug      
       
Stabilisierungszeit in s Mindesteinsatzhöhe in m Geschwindigkeit in km/h Mindesteinsatzhöhe in m
0 60 150 - 280 160
1 60 280 - 350 /
1 150 150 - 350 250
2 200 100 - 400 300
5 400 100 - 400 50
10 800 100 - 400 900

Ausgehend von der oben aufgeführten Tabelle und weiterer interner Festlegungen innerhalb der fallschirmspringenden Einheiten galten für den Einsatz des Sprungschirmes RS-9 im Fallschirm-sprungbetriebsdienst der NVA folgende Einsatzbedingungen für die Sofort- und automatische Öffnung:

Stabilisierungszeit in s Mindesteinsatzhöhe in m Einsatzgeschwindigkeit in km/h Bemerkung
0 300 150 - 250 Sofortöffnung
2 300 150 - 320 automatische Öffnung 2 s
3 400 120 - 350 automatische Öffnung 3 s
5 600 120 - 400 automatische Öffnung 5 s

Diese Mindesteinsatzhöhen galten für den Einsatz aus Flugzeugen. Beim Absetzen aus Hubschraubern wurden jeweils 100m auf die Höhen aufgeschlagen. Die Mindesteinsatzhöhen für die manuelle Fallschirmöffnung schrieb man in der DV 325/0/004 „Fallschirmsprungbetriebsdienst“ genau vor.

Technische Angaben  
   
Kappenform: Rund
Fläche der Fallschirmkappe: 66 m²
Absetzgeschwindigkeit bei Sofortöffnung: 100 - 400 km/h
Nutzlast: 130 kp (max)
Sinkgeschwindigkeit mit max. Sprunggewicht: 4,8 m/s (bei 130 kp)
360°-Drehung in: 8 s
Vorschubgeschwindigkeit: 3 m/s
max . Gleitzahl /
Anzahl der Fangleinen / Bahnen: 28
Länge der Fangleinen: 6,6 m
Gewicht von Hauptfallschirm und Gurtzeug: 16 kg
Abmessungen der Fallschirmes (gepackt): 320 x 620 x 200 mm
Anzahl der Bahnen: Polyamidseide
Betriebsdauer: 8 Jahre
Packzyklus: 90 Tage

 

Die Entwicklung des RS-9/2

Helmut Hentschel (links) und Günter Wagner vom VEB BWS

1977 führte das Fallschirmjägerbataillon ein Sprunglager in Ballenstedt (Harz) durch. Dabei zeigten sich bei einer nicht geringen Anzahl von Fallschirmjägern große Probleme mit dem o.g. Landeverfahren 2. Eine Prüfung der Ursachen erfolgte dann bei einer angesetzten Übung einer Fallschirmjägerkompanie in Neu Mukran auf der Insel Rügen. Außer den Verantwortlichen des Fallschirmdienstes war auch Helmut Hentschel, der Entwicklungsingenieur und Themenbearbeiter aus Seifhennersdorf, mit vor Ort. Die Übung bestätigte die Probleme.

Die Fallschirmjäger fuhren mit eingehängtem Vorschub gegen den Wind Richtung Landeplatz. Über dem Platz hängten sie die Vorschubgriffe aus, drehten sich in Landerichtung und versuchten die 12 m/s Bodenwind weg zu bremsen. Meistens wurde die letzte Drehung aus dem Wind erst in 80 m Höhe durchgeführt. Durch den starken Wind bekam der Fallschirm während der Drehung eine sehr hohe Eigengeschwindigkeit und die Wirkung der „Bremse“ wurde dann überhaupt nicht wahr-genommen. Dadurch entstand eine Art Panik bei einigen Springern, welche dann versuchten das Landeverfahren 1 einzuleiten. Das wiederum hatte Rückwärtslandungen bei ca. 9 m/s Fahrt zur Folge.

In Auswertung dieses Springens fand man heraus, dass erst nach fünf Sekunden anhaltenden Bremsens eine spürbare Wirkung einsetzte und die volle Bremskraft entfaltet wurde. Ursachen dieses Zustandes waren die zu kurzen Steuerbahnen (nur 1 m). Das Einziehen der Vorderkanten bis 30 cm (durch Ziehen der Steuerknebel) brachte keine wirkungsvolle aerodynamische Formveränderung der Kappe.

Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, änderten die Mitarbeiter aus Seifhennersdorf die Fallschirmkappe des RS-9 ab. Die Breite der Steuerbahnen wurde verdoppelt, die Anzahl jedoch von drei auf zwei reduziert. Diese Änderung ging mit einer Neugestaltung der Kappe einher. Aus geometrischen Gründen konnte man nicht einfach eine Steuerbahn weglassen. Man musste die Anzahl der Bahnen von 28 auf 26 reduzieren. Unter Beibehaltung der gleichen Kappengröße vergrößerte man also die einzelnen Bahnen um einige Zentimeter. Durch diese Änderungen sprach der Fallschirm nun zeitnah auf die Steuerung an und dadurch war es auch möglich, im Landeverfahren 2 kleinere Richtungskorrekturen durch Nachlassen der Steuerknebel vorzunehmen. Vorteilhaft auf die Kappenänderung wirkte sich ebenfalls die Reduzierung der Steuerneben- und Steuerzweigleinen aus.

Weitere Änderungen im Zuge der Umgestaltung waren:

  • Das Anbringen von zwei Basishaltestreifen rechts und links neben der Fangleine Nummer 13. Ihre Aufgabe war es, die Entfaltung der Kappe erst zuzulassen, wenn das System sich vollständig gestreckt hat und der Verzögerungssack abgezogen wurde.
  • Das Verschlusssystem am Verpackungssack wurde nochmals optimiert und die Anzahl der abgerundeten Vorstecker von zwei auf einen reduziert. Dieser befand sich jetzt ausschließlich an der Aufzugleine.

Insgesamt wurden 6 Lösungsvorschläge (11 Muster) von BEWES eingebracht und durch Puppen-abwürfe sowie Testsprünge im Zeitraum zwischen dem 23.11. und 09.12.1977 durch Angehörige des Fallschirmdienstes des MfS und der NVA auf dem Flugplatz Eilenburg erprobt. Die Fortsetzung der Tests fand vom 11.01. bis zum 16.02.1978, vom 06.04. bis zum 13.04.1978 und eine kleine Nullserienerprobung durch ausgewählte Soldaten des FJB vom 04.05. bis zum 25.05.1978 statt. BEWES, die SLI, das MfS, das FJB und das KSK-18 konnten noch im gleichen Jahr die Funktions-, Fertigungs- und Nullserienerprobung abschließen und den geänderten RS-9 in die Produktion übergeben. Bereits Ende 1978 erhielt das FJB-40 die erste Lieferung des Truppenschirmes mit der Bezeichnung RS-9/2.

Textilbänder der Vierecksringe für die Verriegelungsbänder

Im Laufe der Einsatzzeit kam es noch zu weiteren Optimierungen des Fallschirmes. Eine Änderung war die Umgestaltung des Verpackungssackes. Während der RS-9/2 noch 3 Verschlussklappen hatte, kam bei der Modifizierung eine weiter dazu. Die Viereckringe zum Einfädeln der Ver-riegelungsbänder waren jetzt auch nicht mehr an den seitlichen Verschlussklappen, sondern beide an der unteren. Der Verschluss des Verpackungssackes wurde trotzdem durch nur einen Vorstecker gewährleistet.

Eine weitere Veränderung am Fallschirm war die Umgestaltung des Verzögerungssackes. Notwendig wurde diese durch ein Vorkommnis mit der alten Lösung, des Schutzüberzuges. Dieser war wie schon beim RS-4 oberhalb der Flachgummis mit dem Verzögerungssack vernäht und wurde nach Einschlaufen der Fangleinen einfach über diese nach unten gezogen. Während der Streckphase des Schirmes strömte Luft zwischen Verzögerungssack und Schutzüberzug. Durch die Naht konnte sie aber nicht nach oben entweichen. Dadurch kam es in ganz geringen Fällen zu einer Schlagschlingenbildung der Fangleinen, die das Abziehen des Verzögerungssackes beeinträchtigten bzw. verhinderten. In diesem Fall half nur noch der Rettungsfallschirm. Dieser Mangel musste behoben werden. Während sich die springenden Einheiten der NVA darauf einigten, dass ihre eingeschlauften Fang- und Steuerleinen durch eine zweiteilige Abdeckung mit einem 4-Punkt-Schlaufe-Band-Verschluss geschützt wurden, entschied sich das MfS für eine andere Variante.

Hier war die Schutzklappe oberhalb der Flachgummis angenäht. Nach dem Einschlaufen der Fang- und Steuerleinen wurde sie nach unten über die Leinen gelegt und durch einen 2-Punkt-Schlaufe-Band-Verschluss verschlossen. Einströmende Luft konnte dabei nach rechts und links entweichen. Obwohl nur relativ geringe Unterschiede vorhanden waren, gab es nun zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die Varianten des RS-9/2. Der Fallschirm für die NVA wurde als RS-9/2A, der des Ministerium für Staatssicherheit als RS-9/2B bezeichnet. Im Jahre 1985 kam es im FJB-40 zu einem Sprungunfall, dessen Ursache im Verschluss der Abdeckung lag. Deshalb wurden danach alle 4-Punkt-Schlaufe-Band-Verschlüsse bei Neufertigung durch Reißverschlüsse ersetzt.

BEWES stellte das Gurtzeug des RS-9/2 bis 1987 mit dem in der ČSSR produzierten Kappenschnelltrennverschlusses vom Typ 990-281 her, welcher schon in den Gurtzeugen der RS-4-Reihe verbaut war.

Auslösen: Sicherungsflügel nach unten klappen - Sicherungsflügel sind unten - Verriegelungsbolzen müssen gleichzeitig gedrückt werden

Anfang der achtziger Jahre wurden auch Gurtzeuge mit der in der DDR entwickelten und produzierten Kappenschnelltrenneinrichtung TSS-Serie 2/ST-ET (Trenngurt-Schlaufe-Seilverschluss der Serie 2/Stabilisierungseinrichtung – Einseitige Trennmöglichkeit) ausgerüstet. Die Vorteile des neuen Systems lagen klar auf der Hand. Man benötigte bis zum Trennen einer Seite nur zwei Handlungen, welche auch unter Stress einfach auszuführen waren. Im Gegensatz zum 990-281 konnte man mit dem TSS die Kappe nur noch einseitig trennen. Dieser Umstand wurde aber in Kauf genommen, weil man von einer kompletten Kappentrennung bei Rundkappenschirmen Abstand nahm. Selbst deformierte oder teilgeöffnete Kappen hatten einen gewissen Tragwert und in Luftnot wurde das Rettungsgerät immer zusätzlich zum Hauptschirm geöffnet. Bis zum Auslaufen des Gurtzeuges mit der tschechischen Variante des Kappenschnelltrennverschlusses wurden dieses RS-9/2-Systeme weiterhin verwendet und waren auch häufiger vorhanden als die neuen Systeme.

Der ehemalige Kommandeur der LStR-40 Major Frank Lippert springt mit einem RS-9/2A mit TSS

Bild 1: TSS – geschlossene Trenngriffsicherung mit Griff
Bild 2: TSS – TSS – geöffnete Trenngriffsicherung mit Trenngriff
Bild 3: TSS – TSS – Seil in der Verriegelungsschlaufe

Technische Angaben  
   
Kappenform: Rund
Fläche der Fallschirmkappe: 66 m²
Absetzgeschwindigkeit bei Sofortöffnung: 100 - 400 km/h
Nutzlast: 50 - 130 kp (max)
Sinkgeschwindigkeit mit max. Sprunggewicht: 4,8 - 5 m/s (bei 130 kp)
360°-Drehung in: 7 s
Vorschubgeschwindigkeit: 0 - 3 m/s
max . Gleitzahl /
Anzahl der Fangleinen / Bahnen: 26
Länge der Fangleinen: 6,54 m
Gewicht von Hauptfallschirm und Gurtzeug: 15 kg
Abmessungen der Fallschirmes (gepackt): 320 x 620 x 200 mm
Anzahl der Bahnen: Polyamidseide
Betriebsdauer: 8 Jahre
Packzyklus: 90 Tage

 

Letzte Sprungvorbereitungen
Einsteigen in einen Hubschrauber des Typs Mi-8

Vom RS-9/3 zum RS-2000

Verpackungssack eines RS-9/3

Ende der achtziger Jahre kam es auf der Fallschirmjäger-Ausbildungsbasis FJAB-40 in Burg zur Erprobung einer weiteren Serie des RS-9. Dieser Typ des Truppenfallschirms hatte eine markant hellgrüne Kappe aus Leichtgewebe sowie beschichtetem Gewebe, welches aus dem nichtsozialistischen Ausland bezogen wurde. Die Bezeichnung dieser Serie war RS-9/3, sie wurde aber in der zweiten Hälfte der Neunziger eingestellt.

Portugiesischer Fallschirmjäger mit einem RS-2000

Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten versuchte man auch in Seifhennersdorf, mit dem RS-9 in die Marktwirtschaft einzusteigen. Eines der Muster war der RS-10T (T = Truppe). Dieser Schirm hatte die Kappe wie der RS-9/2A, jedoch ohne Vorschubleinen und Griffe. Die Öffnung wurde dem T-10 angeglichen. Er sollte bis max. 280 km/h einsetzbar sein. Der RS-10T hatte keinen Verzögerungssack wie der RS-9/2A, sondern einen inneren Verpackungssack, der an der Aufzugsleine im Flugzeug verblieb. Das Muster RS-10T konnte sich nicht auf dem freien Markt durchsetzen.

Im Jahre 1990 war schnell klar, dass Spezialkräfte der bewaffneten Organe der DDR keinen Platz in der neuen Bundeswehr haben werden. Damit endete die Ära der fallschirmspringenden Truppenteile der Landstreitkräfte, Luftstreitkräfte, Volks-marine und des MfS. Die Fallschirmtechnik überlebte die Auflösung der NVA. Abgeändert, an neue Bedürfnisse angepasst und unter den Bezeichnungen RS-4/4 T, RS-4/4 0 sowie RS-2000 werden sie heute in verschiedenen Ländern als Truppen-schirme eingesetzt und von der Firma SPEKON Seifhennersdorf (Nachfolger der VEB BEWES) vertrieben.

Literatur- und Bildquellen:

  • Gerhard Leutert: Fallschirmjäger der NVA., 1. Auflage
  • Handbuch für Fallschirmjäger, 3. Auflage
  • Fallschirmhandbuch RS-9, Ausgabe September 1976
  • Fallschirmhandbuch RS-9/2-B, Ausgabe Mai 1981
  • A 325/1/303, Sprungfallschirm RS-9/2, 1990
  • Fallschirmjäger im Einsatz, Zentralvorstand der GST
  • Sport & Technik, Ausgabe 08´1976
  • Flieger Revue, Ausgabe 01´1974
  • Flieger Revue, Ausgabe 11´1981
  • www.youtube.com/watch?v=ZDcKHnLoZkM
  • Bilder von Rüdiger Schulz, Rainer Stoninski, Martin Perner, Eva Marušáková, Rainer Kimmen, Claus Weissflog, Frank Knobloch, Remo Brandt, Marco Wolff

Herausgearbeitet von René Richter unter freundlicher Mitwirkung von Gerhard Leutert und Jens Klaudtky.

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