Biden erlaubt Ukraine, russische Ziele mit Langstreckenraketen anzugreifen – und Trump schweigt
Laut New York Times hat US-Präsident Joe Biden am Sonntag die Entscheidung getroffen, dass die Ukraine von den USA bereit gestellte Langstreckenraketen einsetzen dürfe, um russische Ziele zu treffen. Die Waffen sollen laut eines Berichts der New York Times gegen russische und nordkoreanische Truppen eingesetzt werden, die in der Kursk-Region stationiert sein sollen. Bidens Entscheidung ist ein weitreichender Wandel der US-amerikanischen Außenpolitik. Die Erlaubnis, Army Tactical Missile Systems (ATACMS) einzusetzen, soll als Reaktion der USA auf die Entscheidung Russlands gelten, nordkoreanische Truppen für den Krieg gegen die Ukraine in Kursk einzusetzen.
Die New York Times schreibt: „Biden begann, die Beschränkungen für den Einsatz von US-Waffen auf russischem Boden zu lockern, nachdem Russland im Mai einen grenzüberschreitenden Angriff in Richtung Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, gestartet hatte. Um den Ukrainern bei der Verteidigung von Charkiw zu helfen, erlaubte Biden ihnen, das High Mobility Artillery Rocket System (HIMARS), das eine Reichweite von etwa 50 Meilen hat, gegen die russischen Streitkräfte direkt an der Grenze einzusetzen. Biden erlaubte den Ukrainern jedoch nicht, ATACMS mit größerer Reichweite von etwa 190 Meilen zur Verteidigung von Charkiw einzusetzen.“
Die New York Times geht nicht davon aus, dass die jüngste Entscheidung den Krieg für die Ukraine drehen werde. Man könne aber den neuen Vorstoß als Signal an Nordkorea interpretieren, dass ein Engagement im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht folgenlos bleibt und dass keine weiteren Truppen in die Kursk-Region geschickt werden sollten.
Die New York Times weiter: „US-Beamte sagten, dass die Ukrainer die ATACMS-Raketen wahrscheinlich zuerst gegen russische und nordkoreanische Truppen einsetzen werden, die die ukrainischen Streitkräfte in Kursk bedrohen, dass Biden sie aber auch ermächtigen könnte, die Waffen anderswo einzusetzen. Einige US-Beamte äußerten die Befürchtung, dass der Einsatz der Raketen durch die Ukraine jenseits der russisch-ukrainischen Grenze den russischen Präsidenten Wladimir W. Putin zu einem gewaltsamen Gegenschlag gegen die Vereinigten Staaten und ihre Koalitionspartner veranlassen könnte.“ Andere US-Beamte würden aber diese Befürchtung als übertrieben bezeichnen.
Laut New York Times plant das russische Militär einen Großangriff von schätzungsweise 50.000 Soldaten, darunter auch nordkoreanische Truppen, auf eingegrabene ukrainische Stellungen in Kursk mit dem Ziel, das gesamte russische Territorium, das die Ukrainer im August erobert haben, zurückzuerobern. „Mit den ATACMS-Raketen könnten die Ukrainer russische und nordkoreanische Truppenkonzentrationen, wichtige militärische Ausrüstungen, logistische Knotenpunkte, Munitionsdepots und Nachschublinien tief in Russland angreifen. Auf diese Weise könnten die Ukrainer die Wirksamkeit des russisch-nordkoreanischen Angriffs abschwächen. Die Frage, ob die Ukraine mit Langstrecken-ATACMS bewaffnet werden soll, ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 ein besonders heikles Thema“, so die New York Times.
Die Zeitung stellt dar, dass die Berater um Biden unentschieden waren, ob man der Ukraine erlauben sollte, mit Langstreckenraketen Russland anzugreifen. Die Franzosen und Briten waren dafür, wollten aber laut New York Times die Entscheidung Bidens abwarten. Einige von Bidens Beratern „stützten sich auf eine jüngste Einschätzung der US-Geheimdienste, die davor warnte, dass Putin den Einsatz von ATACMS mit großer Reichweite auf russischem Boden so beantworten könnte, indem er das russische Militär oder seine Spionagebehörden anweist, Vergeltungsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten zu ergreifen, möglicherweise mit größter Gewalt. In der Bewertung wurde vor mehreren möglichen russischen Reaktionen gewarnt, darunter verstärkte Brandstiftungs- und Sabotageakte gegen Einrichtungen in Europa sowie potenziell tödliche Angriffe auf US-amerikanische und europäische Militärstützpunkte.“
Bidens jüngste Entscheidung wird in einer Zeit getroffen, in der feststeht, dass der nächste US-Präsident Donald Trump sein wird. Trump hat versprochen, nach Amtseinführung am 20. Januar 2025 den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Trump hat vor kurzem mit Putin telefoniert und ihn gewarnt, den Krieg bis dahin weiter zu eskalieren. Am Sonntag aber wurde die Ukraine durch schwere russische Anschläge getroffen. Osteuropa-Experten sagen, dass eine mögliche Endphase des Krieges noch einmal blutig und brutal werden könnte, weil beide Seiten bei möglichen Verhandlungen in einer militärisch guten Lage sein wollen.
Zugleich wird in Deutschland diskutiert, ob das Land der Ukraine das Langstreckensystem Taurus zur Verfügung stellen sollte. Am Wochenende hieß es, die FDP würde erwägen, mit den Grünen und der CDU einen solchen Antrag in den Bundestag zu bringen. Es heißt in verschiedenen Medienberichten, vor Trumps Amtseinführung wollten einige europäische Staaten und Joe Biden die Ukraine stärken, um bei möglichen Verhandlungen eine gute Position einzunehmen.
Die Reaktionen auf die Idee, Taurus zu liefern, sind weiterhin gespalten - so wie auch die Einschätzungen der US-Generäle in den USA. Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP reagierte auf X auf die Entscheidung Bidens positiv: „Lieber spät als nie. Es ist sehr gut, dass zum Ende seiner Amtszeit Joe Biden nun diese wichtige Entscheidung trifft, die es der Ukraine ermöglicht, die brutalen russischen Angriffe bereits frühzeitig abzuwehren. Dies würde folgerichtig auch die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus bedeuten, der für die Verteidigung in besonderer Weise benötigt wird. Ich bin dankbar, dass Boris Pistorius hier bereits eine umfassende Nachbeschaffung angekündigt hat. Diese späte Erkenntnis zum Ende seiner Amtszeit erhoffe ich mir im Sinne der Sicherheit Europas auch von Bundeskanzler Olaf Scholz. Wenn sein Wort gilt, dass er gemeinsam mit den Verbündeten vorgeht, dann muss er jetzt endlich handeln. Es wäre ein großer Dienst am und im Freiheitskampf der Ukraine, bei dem es auch um die Freiheit Europas geht.“
Sahra Wagenknecht vom BSW warnte davor, Taurus in die Ukraine zu schicken. Sie kritisierte Christian Dürr von der FDP, der am Wochenende so eine Idee diskutierte. „Kriegshasardeure wie Dürr wollen für Deutschland jetzt eine Entscheidung erzwingen, die die größte Militärmacht der Welt bisher aus Sorge vor den unwägbaren Eskalationsgefahren vermeidet“, sagte Wagenknecht der Berliner Zeitung. „Wer das Spiel der FDP mitspielt, wird den Krieg nach Deutschland holen. Das Gegenteil ist das Gebot der Stunde: Deeskalation, Waffenstillstand, Verhandlungen – das Ende eines Krieges, den wir uns auch ökonomisch und finanziell nicht länger leisten können.“
Bis 22:30 Uhr deutscher Zeit hat sich kein einflussreicher Politiker aus dem republikanischen Lager zu Bidens Entscheidung offiziell geäußert. Es wird spekuliert, ob Trump in Bidens Pläne eingeweiht war. Nur der Republikaner Richard Grenell, der nach aktuellem Stand keinen Posten in der Trump-Regierung übernehmen soll, hat sich gemeldet. Er schrieb auf X: „Niemand hat damit gerechnet, dass Joe Biden den Krieg in der Ukraine während der Übergangsphase eskalieren würde. Das ist so, als ob er einen ganz neuen Krieg beginnen würde. Jetzt hat sich alles geändert – alle früheren Berechnungen sind hinfällig. Und das alles für die Politik.“
In dem Telefongespräch mit Putin habe Trump der Washington Post zufolge den russischen Präsidenten daran erinnert, dass die USA in Europa mächtiges Militär halten würde. Putin wiederum hatte im Sommer gesagt, dass der Einsatz von Langstreckenraketen auf russisches Territorium aus russischer Sicht ein Engagement der Nato in dem Krieg bedeuten und Russlands Vergeltung nach sich ziehen würde.