Bidens Entscheidung ist eine Gefahr für Deutschland
Die Entscheidung Bidens, der Ukraine tiefe Schläge mit US-Waffen auf russischem Gebiet zu erlauben, ist innenpolitisch motiviert. Sie entspringt nicht dem Glauben, dass sich mit der Erlaubnis an die Ukraine, Russland in seinen Grenzen mit ATACMS angreifen zu dürfen, das Blatt zugunsten der Ukraine wenden könnte. Zwei Monate vor der Amtseinführung von Donald Trump zielt Bidens Entscheidung vor allem darauf ab, für seinen Nachfolger möglichst schwierige Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Entscheidung bringt für die Ukraine keine Wende, sie verlängert den Krieg sowie das Ausmaß der Zerstörung und erhöht die Zahl der Opfer. Vor allem aber eskaliert sie den Krieg, allerdings mit der Aussicht, dass die USA die Erlaubnis Bidens nach Amtsübernahme Trumps wieder kassieren.
Umso erstaunlicher ist das Echo innerhalb der EU und vor allem Deutschlands. Man ist Joe Biden geradezu dankbar für die Eskalation, ohne die Folgen zu bedenken. Der bisher lediglich durch extreme diplomatische Kurzsichtigkeit aufgefallene EU-Außenbeauftragte Josep Borrell fordert die EU auf, der Ukraine ebenfalls tiefe Schläge auf russisches Gebiet zu erlauben. Deutsche Politiker begrüßen in einer Art Kriegsrausch die Entscheidung des scheidenden US-Präsidenten. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), die deutsche Interessen bereitwillig denen der USA, der Ukraine und Israels unterordnet, ist begeistert.
Dabei ist jetzt schon klar, dass sich die USA unter Donald Trump aus diesem Krieg zurückziehen werden. Der Ukraine-Krieg hat das Potenzial, zu einem europäischen Krieg zu werden. Der Ukraine-Krieg hat zudem auch das Potenzial, zu einer deutsch-russischen Konfrontation zu werden – mit verheerenden Folgen für Deutschland, gravierenden für die EU, aber nicht für die USA. Deutschland ist zur Eskalation bereit, macht ein Blick in den Mainstream und die sozialen Netzwerke deutlich. Dieses Mal klappt's, sind sich viele Deutsche sicher.
Stimmen der Vernunft gibt es nur wenige. Scholz bleibt bisher bei seinem Nein zu Lieferungen von Taurus. Die AfD und das BSW haben sich einen klaren, nüchternen und rationalen Blick auf den Konflikt und seine Ursachen bewahrt. Sie haben zudem die Konsequenzen im Blick. Die SPD ist als Partei in der Taurus-Frage bestenfalls gespalten, die Grünen, CDU und FDP plädieren für Taurus-Lieferungen. Sie sind dafür, den Krieg auf eine neue Ebene mit direkter deutscher Beteiligung zu heben. Die Entscheidung Bidens bringt Scholz unter Druck, deutsche Kriegstreiber wittern Morgenluft.
Dabei ist die russische Position klar formuliert. Da die Ukraine für den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern zwingend auf Experten der Bundeswehr angewiesen ist und zudem Geodaten der Satellitenaufklärung benötigt, wäre damit für Russland die Grenze zur Kriegsbeteiligung überschritten. In Deutschland spuckt man große Töne, weil man glaubt, dass sich die NATO oder zumindest die EU-Partner im Fall einer weiteren Eskalation an der Seite Deutschlands positionieren werden. Das aber ist ein Trugschluss.
Die USA werden schon im eigenen Interesse garantiert nicht den nuklearen Schutzschirm über Deutschland aufspannen. Sie würden dann selbst zum Ziel von nuklearen Angriffen und vernichtet. Die NATO wird sich schon aus Selbsterhalt darauf besinnen, dass die Beistandsklausel nur für den Fall gilt, dass ein Land angegriffen wurde, aber selbst nicht angegriffen hat. Man erinnere sich an den Umgang der NATO mit der Ukraine. Mit der Beteiligung deutscher Soldaten an den Kriegshandlungen stehen absehbar umfassende Diskussionen an, ob die Beistandsklausel überhaupt greift.
Die EU ist in sich zu gespalten, Deutschland hat zudem keine gute Stellung unter den EU-Partnern. Der Ansehensverlust hat viele Gründe, aber die Annahme, Deutschland könne sich auf die Solidarität der EU-Länder verlassen, ist schon deshalb ein Trugschluss, weil sich die EU-Länder in Krisen regelmäßig nicht auf die deutsche Solidarität verlassen konnten. Da sind noch Rechnungen offen.
Vor allem das deutsche politische Personal verweigert sich der Erkenntnis, dass dieser Stellvertreterkrieg sich auch gegen Deutschland richtet. Der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands, mit verursacht durch die Sprengung von Nord Stream durch mutmaßlich die USA, verbunden mit einem Sanktionsregime, das sich fundamental gegen deutsche Interessen richtet, sollte eigentlich zu einer Diskussion über das Wesen des transatlantischen Bündnisses führen. Aber in Deutschland ist eine solche Diskussion faktisch untersagt. Das transatlantische Verhältnis steht auch dann nicht zur Debatte, wenn viel darauf hindeutet, dass es von den USA längst einseitig gekündigt wurde.
Die USA werden sich absehbar aus dem Ukraine-Krieg zurückziehen. Der Krieg wird zu einer europäischen Angelegenheit. Es liegt in der Hand der deutschen Politik, ob er zudem zu einer deutsch-russischen Angelegenheit wird. Große Teile der deutschen Politik und der deutschen Gesellschaft sind bereit, die Lasten des Krieges zu tragen. Die Politik ist bereit, sich für die Verlängerung des Krieges zu verschulden und den wirtschaftlichen Niedergang hinzunehmen. Teile der deutschen Gesellschaft sind bereit, in den Krieg einzusteigen und sind überzeugt, dass es 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs möglich sei, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen.
Die Gefahr, die von Bidens Entscheidung ausgeht, ist nicht so sehr, dass daraus ein Dritter Weltkrieg entsteht – zunächst jedenfalls noch nicht. Die Gefahr ist, dass der Krieg zu einem europäischen und dort zu einem deutsch-russischen wird. Die Deutschen sind als Nation zum Krieg bereit. Sie überschätzen ihr Potenzial und ihre Stellung bei den Verbündeten. Die deutsche Politik ist zu kurzsichtig, um die Folgen zu bedenken. Dass Deutschland aus diesem Konflikt siegreich hervorgehen könnte, ist allerdings schon deshalb unwahrscheinlich, weil niemand an einem deutschen Sieg ein Interesse hat – auch die sogenannten Partner und Alliierten Deutschlands nicht.