Bundeskanzler Merz, Putin und die Geografie
Womöglich löst Bundeskanzler Friedrich Merz mit einer Aussage in seinem Interview mit dem französischen Sender TF1ganz andere Empfindungen aus, als er beabsichtigt. Denn neben seiner Betonung, er wolle wieder eine Wehrpflicht ‒ auch für Frauen ‒, lieferte er auch noch eine eigenartige Begründung. So zitiert das RedaktionsNetzwerk Deutschland:
"Friedrich Merz begründete den Ausbau des freiwilligen Wehrdienstes mit der russischen Bedrohung: Russlands Präsident Putin wolle nicht nur die Ukraine erobern, so Merz: 'Er möchte die alte Sowjetunion wiederherstellen. Und dazu gehört auch ein Teil meines Landes', erklärte er."
Das ist mit der aktuellen Geografie nicht ganz zu vereinen. Entweder der "Teil meines Landes", auf den er sich bezieht, ist Kaliningrad ‒ dann müsste der Anspruch auf Schlesien, das heute zu Polen gehört, eigentlich gleich hinterher kommen. Oder aber er ist der Überzeugung, die annektierte DDR sei ein Teil der Sowjetunion gewesen. Was sie bekanntlich nie war.
Aber womöglich meinte er ja die andere Version, die DDR als Teil der Sowjetunion. Wäre sie das gewesen, hätten die DDR-Bürger einen Rechtsanspruch auf einen russischen Pass und könnten vielleicht sogar ein Referendum starten, um sich der Russischen Föderation anzuschließen. Eine Vorstellung, die auf weitaus weniger Abneigung stoßen könnte, als Merz sich das vorstellt. Es ist zumindest erheiternd, sich die Panik in Berlin vorzustellen, wenn im Ostteil der Stadt ein Referendum stattfindet, sich von diesem Deutschland zu lösen und Russland anzuschließen.
Aber leider, leider war die DDR nie Teil der Sowjetunion, und kann daher auch nicht auf höfliche grüne Männer hoffen. Was allerdings bei den Synapsen von Friedrich Merz in Unordnung geraten ist, ob er zu lange mit Deutschland in den Grenzen von 1937 im Ranzen herumgelaufen ist, so als Jungunionler, oder ob ihn einfach seine Abneigung gegen die östlichen Beutebürger derart übermannt hat, dass er auch in ihrem Kern lauter böse Russen vermutet, das mag Merzens Psychoanalytiker erkunden, so es einen solchen gibt.
Die Lehre, die man auf jeden Fall daraus ziehen kann, ist, dass deutsche Politiker mit der Geografie so einfach ihre Probleme haben. Und womöglich will Merz Bundespräsident Steinmeier Konkurrenz machen, der in seiner Zeit als Außenminister von einer Landbrücke von Mariupol zur Krim schwadronierte, mal eben 270 Kilometer Entfernung unterschlagend. Was dann monatelang von der deutschen Presse getreulich nachgebetet wurde, ohne dass auch nur einer der werten Kollegen einen Blick auf eine Karte warf.
Klügere Menschen jedenfalls ziehen daraus vor allem eine Konsequenz: stets eine Karte zur Hand zu haben, wenn einer wie Merz sich zu geografischen Fragen äußert. Zum Glück sind sie in Zeiten des Internets immer nur einen Mausklick entfernt.