Drohnen statt Marschflugkörper: Wie Deutschland die Ukraine mit Kamikaze-Drohnen unterstützt
Kurz vor dem dritten Jahrestag des russischen Großangriffs auf die Ukraine macht sich Ernüchterung unter den Unterstützern Kiews bemerkbar. Die Ukraine steht unter Druck. Sowohl im Donbass als auch in Kursk sind Russlands Truppen auf dem Vormarsch. Präsident Selenskyj bittet den Westen um starke Sicherheitsgarantien, womit unter anderem schwere Waffen gemeint sind.
Der dänische Militäranalyst Anders Puck Nielsen vermutet, die Ukraine kann die Initiative nur mit weitreichenden Waffen zurückerlangen, die sie derzeit aber nicht erhält. Kiew müsse in der Lage sein, logistische Knotenpunkte im russischen Herzland angreifen zu können, etwa mit ATACMS oder Taurus-Marschflugkörpern. Donald Trumps Plan, Russland mit Sanktionen unter Druck zu setzen, sieht er hingegen kritisch.
Doch der Westen zögert bei der Unterstützung der Ukraine mit Marschflugkörpern, Artilleriegranaten und Panzern. Versprochene Güter kommen oft zu spät und in geringerer Menge an die Front, sodass Kiews Soldaten sich zunehmend im Nachteil gegen Moskaus Truppen sehen, welche indessen über eine starke Logistik und die Unterstützung aus China und Nordkorea verfügen. Bleibt der Ukraine also nur noch die Defensive?
Aufklärungs- und Kamikazedrohnen: Ein Gamechanger für die Ukraine?
Die Enttäuschung in Kiew war insbesondere groß, als Deutschland die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ablehnte. Auch sendet die Bundesregierung weniger Waffen an die Ukraine, als es möglich und für eine schnelle Frontbegradigung nötig wäre. Neben 100 Leopard-Panzern, 372.000 155mm Artilleriegranaten und 25 Panzerhaubitzen 2000 seit Kriegsbeginn sind etliche Kleinwaffen und Ausrüstungsmaterialien an Kiew gegangen, darunter Decken, Helme, Maschinengewehre und Luftabwehrraketen. Obwohl die Ukraine ohne die deutschen Rüstungsgüter den Krieg vermutlich schon verloren hätte, reichen diese Mengen in dem Abnutzungskrieg nicht aus, für den die Ukraine solche Mengen an Artilleriemunition monatlich benötigt.
Doch im November 2024 verkündete Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Firma Helsing aus München würde der Ukraine 4000 KI-gesteuerte Drohnen produzieren und liefern. Das 2021 gegründete Software-Unternehmen fokussierte sich auf die Kopie russischer Lancet-Drohnen, um im Folgenden Kamikaze-Drohnen zu entwickeln, die auf künstlicher Intelligenz basieren und als organisierter Schwarm selbstständig nach Zielen suchen.
Zwar werden die meisten Details zur deutsch-ukrainischen Drohnenproduktion geheim gehalten. Sicher ist jedoch, dass die HX-2-Drohnen bis zu 40 Kilometer tief in feindliches Gebiet eindringen, Störsignalen standhalten und effektiv Gefechtsstände, Logistik und feindliche Truppen sowie Fahrzeuge zerstören können. Der Spitzname „Mini-Taurus“ suggeriert, dass die Drohne eine veritable Alternative zu Artillerie und Marschflugkörpern darstellt. Diese deutschen Angriffsdrohnen könnten also ein Gamechanger werden.
Selenskyj: Ukraine kann 4 Millionen Drohnen jährlich produzieren
Doch benötigt die Ukraine unbedingt Hilfe bei der Produktion von Angriffsdrohnen? Immerhin hat das Land seit 2022 eine effektive Rüstungsindustrie aufgebaut, die laut Selenskyj ab 2025 vier Millionen Drohnen jährlich herstellen kann. Und der Reservistenverband beklagt die unsichere Finanzierung der Drohneninitiative mit Budgetresten, die keinem klaren Zeitplan folgt, sondern lapidar „so rasch wie möglich“ erfolgen soll. Die geringen Lieferkapazitäten der Bundeswehr sollen elegant umgangen werden: Deutschland will weniger Material, sondern lediglich das Know-how für die heimische Produktion in der Ukraine liefern.
Wie auch die Fabriken von Rheinmetall in Ungarn und in der Ukraine möglichst viele Artilleriegranaten nahe der Front produzieren sollen, sollen die Ukrainer auch im Gebiet der unbemannten Luftfahrzeuge selbst produzieren lernen, während Deutschland die technologischen Bedingungen dafür schafft. Nicht nur bleibt die Materiallieferung Deutschlands an die Ukraine somit klein und sorgt damit für weniger Furor aufseiten russischer Analysten. Auch kann die Ukraine so modernste Technik bei niedrigen Produktionskosten vor Ort selbst herstellen. Helsing gehört indessen zu den wertvollsten KI-Startups Europas und Deutschlands Rüstungsindustrie verteidigt ihren Spitzenruf in Zeiten wirtschaftlicher Verunsicherung.
Zu sehen ist das beispielsweise im Cyber Innovation Hub nahe Ohrdruf, wo die Bundeswehr gemeinsam mit Soldaten und dem deutschen Startup-Ökosystem modernste Technik testet und zur Gefechtsreife bringt. Die neueste Errungenschaft der deutschen Rüstungsindustrie ist die Abfangdrohne TYTAN, die per Gamepad gesteuert werden kann oder bei Bedarf auch automatisch feindliche Drohnen sucht und zerstört. Nach Tests auf deutschem Boden wurden Modelle der TYTAN auf ukrainischem Boden gesichtet.
Verteidigung der Ukraine: Das letzte Bollwerk Europas gegen Russland?
Dass Russland Krieg auch mit den baltischen Ländern sucht, gilt für viele Experten als gesichert. Und wie Russland Nordkorea in seine Pflicht genommen hat, um seine personellen Engpässe zu kompensieren, kann als meisterhafter Schachzug in diesem Konflikt gewertet werden. Ob die deutsche Hilfe ausreicht, um die Verteidigung der Ukraine gegen die neuerlichen Vorstöße Russlands zu garantieren, darf bisweilen hinterfragt werden.
Auch Russlands Angriffe mit Drohnenschwärmen sorgen für Chaos hinter den ukrainischen Frontlinien. Die russischen Lancet-Drohnen werden derweil mithilfe von China gebaut, sodass Moskau technologisch zumindest nicht im eklatanten Nachteil zur westlichen Technik versinkt. Schließlich könnte es auch zu einem Patt im Drohnenkrieg kommen, sodass wieder Infanterie, Artillerie und Panzer den Kriegsverlauf maßgeblich bestimmen. Und von all diesen drei Waffengattungen hat Kiew viel zu wenig Reserven.