In Rostock gibt es nichts zu sehen, meint die Bundesregierung nach der Eröffnung des neuen Hauptquartiers für den Seekrieg gegen Russland NATO? Welche NATO?
Der Vorwurf an die deutsche Adresse: Eklatanter Verstoß gegen das „Zwei-plus-Vier-Abkommen“ vom 12. September 1990. Denn in Artikel 5 heißt es dort: „Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“ Plötzlich wurde aus dem NATO-Hauptquartier in der öffentlichen Kommunikation offiziell so etwas wie eine am Ostseestrand gelegene Bundeswehrpension mit ein paar multinationalen Kurzzeitgästen.
Rasche Lernfähigkeit bewies das in die Jahre gekommene einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“. Der „Spiegel“ berichtete noch am 22. Oktober vom russischen Protest „gegen die Einweihung des maritimen NATO-Hauptquartiers in Rostock“. Tags darauf las man an gleicher Stelle: „(…) gegen die Einweihung des neuen Hauptquartiers der deutschen Marine in Rostock“. Die Pressestelle der NATO blieb sogar noch hinter dieser intellektuellen Anpassungsleistung zurück. Wo am Tag nach der Einweihung noch stand: „die NATO errichtet Kommando“, prangte eine Woche bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ der hilflose Hinweis, die Internetseite sei „zur Zeit nicht erreichbar“. Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) gab über den X-Account seines Ministeriums am 22. Oktober um 7.39 Uhr die neue Sprachregelung als Tagesbefehl aus, wörtlich: „Verstößt CTF Baltic gegen den 2+4 Vertrag? NEIN, es ist ein deutsches Hauptquartier.“ Auswendig lernen zum Appell.
Als wäre dies nicht schon lächerlich genug, setzte der Sprecher des „Verteidigungs“-Ministeriums, Michael Stempfle, in der Bundespressekonferenz noch eins drauf. Als der Journalist Florian Warweg („NachDenkSeiten“) ihn im Vorfeld der Einweihung mit der Frage konfrontierte, wie denn die 60 Dienstposten des Kommandos besetzt seien, wiederholte Stempfle gebetsmühlenartig, es seien nur 26, von mehr wüsste er nicht. Dumm nur, dass in der Tage zuvor versandten Einladung zur Einweihung, herausgegeben von Stempfles Dienstherrn, von 180 Dienstposten insgesamt und „60 multinationalen“ Soldaten zu lesen war. Peinlich mitanzusehen, wie die Kriegsertüchtigungshektik sogar den Verlust der Grundrechenarten mit sich bringt.
Dabei wäre es doch so einfach, rhetorische Tänzchen zu unterlassen und offen zu sagen, was ohnehin alle schon längst wissen. Wie soll denn die von der NATO-Führungsebene in unzähligen Strategiepapieren propagierte Scharnier- und Drehscheibenfunktion Deutschlands für den Marsch gen Osten vonstattengehen, ohne dass zigtausende NATO-Soldaten das frühere Staatsgebiet der DDR durchqueren? Rostock übernimmt die Vorbereitung für die „Koordinierung der Ostseeoperationen der NATO“, wie die türkische Nachrichtenplattform „Anadolu“ meldete. Schließlich hat der Wechsel der Kommandogewalt von Großbritannien zum neuen Hauptquartier in Rostock den Sinn, „die Führung der NATO- Marinekräfte im Ostseeraum (…) vereint und proaktiv“ auf Krise und Krieg vorzubereiten, so NATO-Generalleutnant J. P. Perrin auf der Rostocker Einweihungsfeier.
Der systematische Bruch mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag lässt sich nicht nur in Rostock beobachten. Seit Oktober 2023 laufen die Anstrengungen zur Stationierung von in Israel und in den USA produzierten Arrow-3 Raketen (Bestellvolumen 700 Millionen Euro) auf dem Fliegerhorst Holzdorf-Schönewalde. Im kommenden Jahr soll die Stationierung abgeschlossen sein. In der Wortwahl wieder einmal unzuverlässig berichtete der MDR am 14. Oktober: „Zeitenwende – Fliegerhorst wird zu großem NATO-Stützpunkt aufgebaut“. Fast vergessen: 47 „large scale“ Chinook-Transporthubschrauber werden in Holzdorf auch erwartet. Was die wohl transportieren sollen, doch nicht etwa NATO-Soldaten?