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Strategische Realitäten

2025-02-14 02:49
von Thomas

BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – In Berlin werden Forderungen nach einer europäischen „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der Ukraine laut. Wie der Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) verlangt, müsse eine solche „Koalition der Willigen“ die ukrainischen Streitkräfte „so unterstützen, dass sie Russland zurückdrängen kann“. Damit reagiert Kiesewetter auf die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, in Verhandlungen mit Moskau über den Ukraine-Krieg einzutreten, und die Ankündigung von US-Verteidigungsminister Pete Hegseth, etwaige „Friedenstruppen“ zur Absicherung der Demarkationslinie zwischen von Russland bzw. von der Ukraine kontrollierten Territorien würden von den USA nicht unterstützt und dürften auch nicht auf Rückendeckung der NATO hoffen. Als Grund für das US-Vorgehen nennt Hegseth die „strategische Realität“, dass die USA sich ab sofort voll und ganz auf den Machtkampf gegen China konzentrierten; aufgrund der „Knappheit“ der Ressourcen seien sie nicht mehr zum Einsatz von Mitteln in Europa bereit. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt eine „enge Abstimmung innerhalb Europas“ und „Gespräche“ auf der Münchner Sicherheitskonferenz an.

US-Vorstoß

Die diesjähige Münchner Sicherheitskonferenz wird überschattet von heftigen Differenzen zwischen Berlin und Washington hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. US-Präsident Donald Trump hat am Mittwoch mitgeteilt, er habe mit Russlands Präsident Wladimir Putin über eine rasche Beendigung des Krieges gesprochen; man sei übereingekommen, ein Treffen für nähere Verhandlungen anzuberaumen. Stattfinden könne es möglicherweise in Saudi-Arabien. Von einer Beteiligung der Ukraine oder der Staaten Westeuropas war nicht die Rede.[1] Trump hat anschließend, ohne dies mit den westeuropäischen Staaten abzusprechen, mit dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, telefoniert. Dabei seien die „Möglichkeiten“ thematisiert worden, „Frieden zu erreichen“, teilte Selenskyj anschließend mit. In einer 180-Grad-Wende gegenüber seiner bisherigen Position fuhr er fort: „Die Ukraine wünscht Frieden mehr als jeder andere.“[2] Bereits zuvor hatte er zugesagt, Kiew werde bis zu diesem Wochenende eine Übereinkunft mit Washington ausarbeiten, der zufolge die Vereinigten Staaten direkten Zugriff auf die ukrainischen Bodenschätze erhalten sollen. Dabei geht es vor allem um Lithium, Kobalt und Titan, aber auch um Seltene Erden. Damit sollen die immensen Summen zumindest zum Teil zurückgezahlt werden, die Washington unter Präsident Joe Biden in den Ukraine-Krieg investiert hat.[3]

Die Folgen der „Knappheit“

Ebenfalls am Mittwoch hat US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bei einem Treffen der Ukraine Defense Contact Group in Brüssel die Pläne der Vereinigten Staaten für die Zeit nach dem Ende des Ukraine-Kriegs skizziert. Demnach besteht Washington darauf, die Ukraine müsse „robuste Sicherheitsgarantien“ erhalten.[4] Doch dürften diese nicht die von Kiew und diversen europäischen Regierungen gewünschte NATO-Mitgliedschaft umfassen. Stattdessen sollten „fähige europäische und nichteuropäische Truppen“ die zukünftige Sicherheit der Ukraine garantieren. Sollten diese als sogenannte Friedenstruppen in das osteuropäische Land entsandt werden – und Washington bestehe auf einer „robusten“ internationalen Aufsicht über die Demarkationslinie zwischen von Moskau kontrolliertem sowie von Kiew gehaltenem Territorium –, dann dürften sie nicht im NATO-Rahmen operieren. Ausgeschlossen sei zudem die Anwendung von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Demnach hätten europäische Truppen bei etwaigen Zusammenstößen mit russischen Einheiten keinerlei Rückendeckung durch die USA. Diese würden ohnehin keine Truppen stellen, teilte Hegseth in Brüssel mit. Dies sei eine unmittelbare Folge „nüchterner strategischer Realitäten“: Die USA fokussierten auf das Ziel, „China im Pazifik abzuschrecken“, und könnten angesichts realer „Knappheit“ nicht mehr Kräfte in Europa verschwenden.

Am Katzentisch

Die Ankündigungen, die Trump und Hegseth am Mittwoch tätigten, haben in Berlin und in deutschen Medien wütende Reaktionen ausgelöst. Schon am Mittwochabend hieß es in einer vom Auswärtigen Amt verbreiteten Stellungnahme, die von Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien, Großbritannien, der EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragten getragen wurde: „Die Ukraine und Europa müssen an allen Verhandlungen beteiligt sein.“[5] Weiter hieß es, man bekenne sich zur „territorialen Unversehrtheit“ der Ukraine; „unser gemeinsames Ziel“ müsse es sein, „die Ukraine in eine Position der Stärke zu versetzen“. Wie dies angesichts der desaströsen militärischen Lage der Ukraine [6] möglich sein soll, erläuterten die sechs europäischen Staaten und die zwei EU-Institutionen nicht. Sie kündigten lediglich an: „Wir sind bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine zu verstärken.“ Der Forderung, die Staaten Europas müssten an den Verhandlungen beteiligt sein, schloss sich Verteidigungsminister Boris Pistorius am Mittwoch an: „Dass wir nicht am Katzentisch sitzen können“, erklärte er vor einem Treffen mit seinen NATO-Amtskollegen in Brüssel, „dürfte allen einleuchten“.[7]

„Eine europäische Koalition der Willigen“

Auf eine Weiterführung des Krieges laufen Forderungen hinaus, die der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter am gestrigen Donnerstag vortrug. „Russland ist besiegbar“, behauptete Kiesewetter: „Es gibt eine Chance, dass die Ukraine ihre Grenzen wiederherstellt.“[8] Man müsse umgehend „die Ukraine so unterstützen, dass sie Russland zurückdrängen kann“. Dazu solle sich nun – nach der Ankündigung Washingtons, mit Moskau verhandeln zu wollen – „eine europäische Koalition der Willigen“ bilden; er selbst hoffe, erklärte der CDU-Politiker, „auf eine Koalition der Willigen unter entschlossener Führung insbesondere nordischer, mittel- und osteuropäischer Staaten und der Briten“. Zur Forderung der Trump-Administration, alle NATO-Staaten müssten ihre Militärbudgets auf fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung anheben, sagte Kiesewetter: „Fünf Prozent sind nicht aus der Luft gegriffen. ... Das ist machbar, wenn man den politischen Willen dazu hat.“ Fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung im Jahr 2024 betragen 215,5 Milliarden Euro; das wären mehr als 44 Prozent des aktuellen Bundeshaushalts, dessen Gesamtvolumen 488,6 Milliarden Euro erreicht. Kiesewetter verglich zudem die Absprachen zwischen Trump und Putin mit dem Münchner Diktat von 1938 („München 2“) und zog so Parallelen zwischen dem heutigen Russland und dem NS-Reich.

„Verrat“

Weitere Politiker und Kommentatoren toben. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nannte das US-Vorgehen einen „Verrat an der Ukraine“.[9] Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main erklärte, die US-Russland-Gespräche klängen „nach polnischer Teilung“.[10] In einem Kommentar des Magazins Focus hieß es, Trumps Vorstoß werfe „schmerzhafte Fragen auf“, etwa die, ob die zahllosen ukrainischen Todesopfer und die milliardenschweren deutschen Hilfsgelder „umsonst“ gewesen seien: „Haben die USA – die hierzulande hochgehaltene Biden-Administration – die Ukraine in einem ihren Interessen dienlichen Krieg gegen Russland verschlissen, gar geopfert?“[11]

Europäischer Schulterschluss

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte am Donnerstagabend, „wir Europäer“ würden die Ukraine auch weiterhin unterstützen – „und zwar so lange, wie dies nötig ist“.[12] Dementsprechend müssten die Länder Europas auch an Verhandlungen über eine etwaige Beendigung des Krieges beteiligt werden und darin „unsere Interessen ... selbstbewusst und engagiert vertreten“. Im Hinblick auf den US-Vorstoß sagte Scholz: „Die enge Abstimmung innerhalb Europas ist in diesen Tagen so wichtig wie selten zuvor.“ Ein erstes Gespräch mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk habe er bereits geführt; „weitere Gespräche“ seien „am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz“ geplant. Diese wird am heutigen Freitag eröffnet.

 

[1], [2] Alan Cullison, Nancy A. Youssef, Jane Lytvynenko: Trump Says He and Putin Agreed to Begin Talks on Ending Ukraine War. wsj.com 12.02.2025.

[3] Ian Lovett: Ukraine Open to Trump’s Idea to Exchange Aid for Rare Earths – But There’s a Catch. wsj.com 04.02.2025.

[4] Opening Remarks by Secretary of Defense Pete Hegseth at Ukraine Defense Contact Group (As Delivered). defense.gov 12.02.2025.

[5] Weimar+-Erklärung Deutschlands, Frankreichs, Polens, Italiens, Spaniens, des Vereinigten Königreichs, des Europäischen Auswärtigen Dienstes und der Europäischen Kommission. Paris, 12.02.2025.

[6] S. dazu „Keine Rettung durch Krieg“.

[7] Pistorius: Können bei Verhandlungen nicht am Katzentisch sitzen. n-tv.de 13.02.2025.

[8] „Trump lässt damit die Ukraine fallen“. n-tv.de 13.02.2025.

[9] Jan Drebes: USA und Europa driften in Ukraine-Krieg auseinander. rp-online.de 13.02.2025.

[10], [11] Ulrich Reitz: Trump und Putin stufen Deutschland herab – das verändert alles. focus.de 13.02.2025.

[12] Enge Abstimmung innerhalb Europas und der NATO so wichtig wie selten zuvor. bundesregierung.de 13.02.2025.

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