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Warum zahlt Europa fünfmal mehr für Erdgas als die USA?

2025-09-20 11:24
von Thomas

Laut Mario Draghi, dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten und Ex-Chef der Europäischen Zentralbank, ist LNG in Europa um 60 bis 90 Prozent teurer als in den USA. Und das ohne Berücksichtigung der Kosten für Logistik und Regasifizierung.

In einer Rede anlässlich des ersten Jahrestags der Veröffentlichung des Berichts "Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit" führte Draghi eine Reihe von Herausforderungen für die europäische Region an. So seien die Einzelhandels- und Großhandelspreise für Erdgas in Europa im Jahr 2024 drei- bis fünfmal höher gewesen als in den USA, obwohl dieser Wert in der Vergangenheit nur zwei- bis dreimal höher gelegen habe. Dem Bericht zufolge seien auch die Stromkosten in Europa, insbesondere im Industriesektor, zwei- bis dreimal so hoch wie in den USA und Kanada gewesen, während dieser Wert historisch gesehen 80 Prozent betragen habe.

Im Vergleich zur übrigen Welt stellte die Energieversorgung für die EU-Wirtschaft schon immer einen Schwachpunkt dar, und nach Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine wurde dieses Problem durch die Energiekrise noch verschärft. Die Gaslieferungen aus Russland in die EU gingen drastisch zurück und erreichten 2025 einen neuen Tiefstand, da der Gastransit durch die Ukraine eingestellt wurde und nur noch eine einzige Route – die Gaspipeline "TurkStream" – in Betrieb ist.

Mario Draghi verwies auf das im Juli zwischen den USA und der EU geschlossene Handelsabkommen, das den Kauf verschiedener Energieträger im Wert von insgesamt 750 Milliarden US-Dollar durch die Europäische Union von den USA bis 2028 vorsieht. Die EU strebt an, bis zum Jahr 2027 die Lieferungen russischer Energieträger vollständig durch US-amerikanische zu ersetzen.

Die Europäer zahlen mittlerweile noch mehr für Energieressourcen als die USA.

Wladimir Tschernow, Analytiker bei "Freedom Finance Global", erläutert:

"Tatsächlich ist der Preisunterschied für die Industrie und die Endverbraucher in der EU noch spürbarer, als Mario Draghi angibt. Die reale Differenz zwischen den Märkten beträgt derzeit durchschnittlich das Vier- bis Fünffache.

So liegen die Spotpreise am niederländischen TTF-Hub bei über 300–350 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter, während sie in den USA am Henry Hub bei etwa zwei US-Dollar pro Million British Thermal Units (MMBtu) liegen, was etwa 70 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter entspricht."

Die Stromkosten für europäische Verbraucher sind ebenfalls um ein Vielfaches höher als für US-amerikanische. Wladimir Tschernow äußert sich dazu wie folgt:

"Die Stromkosten für die EU-Industrie sind durchweg zwei- bis dreimal höher als in den USA. In Europa schwanken sie in Spitzenzeiten zwischen 200 und 250 Euro pro Megawattstunde, während sie in den USA und Kanada durchschnittlich bei 80 bis 100 Euro pro Megawattstunde liegen."

Einzig bei den Kosten für Öl besteht keine solche Diskrepanz, da die weltweiten Ölpreise für alle ungefähr gleich sind und sich lediglich je nach Ölsorte unterscheiden. Der Analytiker von "Freedom Finance Global" erläutert dazu:

"Öl ist ein eher standardisiertes Produkt, und die Notierungen für die Ölsorten Brent und WTI unterscheiden sich nicht wesentlich – etwa drei bis fünf US-Dollar pro Barrel –, aber die Verarbeitungs- und Energiekosten in Europa führen dazu, dass der Endpreis für Unternehmen höher ist als in den USA."

Wie lässt sich diese erhebliche Preisdifferenz erklären? Tschernow kommentiert dies wie folgt:

"Erstens sind die USA dank der 'Schiefergasrevolution' ein autarker Gasproduzent und -exporteur, während Europa vollständig von Importen abhängig ist. Zweitens hat die EU nach 2022 faktisch keinen Zugang mehr zu kostengünstigem russischem Pipelinegas und ist gezwungen, LNG zu hohen Preisen zu kaufen, wobei auch die Kosten für Transport und Regasifizierung zu berücksichtigen sind. Drittens fiel der starke Anstieg der LNG-Nachfrage in Europa mit begrenzten Importkapazitäten zusammen, was den Wettbewerb und die Preise in die Höhe trieb."

Allerdings spielen noch weitere – vor allem von den USA selbst beeinflusste – Faktoren, die dazu beitragen, dass die Gaspreise dort so niedrig bleiben, eine Rolle. Igor Juschkow, Experte der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und des Nationalen Energiesicherheitsfonds (NESF), erklärt:

"Der größte Preisunterschied zwischen den USA und der EU bestand wohl im Jahr 2022, als es in Europa die höchsten Gaspreise gab mehrere tausend US-Dollar pro tausend Kubikmeter. In den USA kam es zu diesem Anstieg nicht, da sie bereits ein Netto-Gasexportland waren. Darüber hinaus ist Gas in den USA nach wie vor weitgehend auf den Binnenmarkt beschränkt, und die US-Unternehmen sind nicht frei in ihrer Entscheidung, ob sie Gas exportieren oder auf dem Binnenmarkt belassen. Außerdem gibt es nur begrenzte Kapazitäten für die Verflüssigung von Gas, die für den Export erforderlich sind."

Dem Experten zufolge würden die Preise auf dem US-Binnenmarkt erst dann auf das Niveau der Export-Netback-Preise steigen (das heißt, sie würden in etwa denen in Europa entsprechen, abzüglich der Kosten für die Verflüssigung und den Transport), wenn die Amerikaner zahlreiche LNG-Anlagen errichten würden und die Produzenten die Möglichkeit hätten, so viel Gas zu exportieren, wie für sie rentabel ist.

Wladimir Tschernow sagt:

"Tatsächlich sind LNG-Lieferungen aus den USA zu einem Element der transatlantischen Partnerschaft geworden, im Rahmen derer Europa einen Aufschlag für Energiesicherheit zahlt. Aus diesem Grund wurde der historische Preisunterschied von zwei- bis dreifach auf derzeit vier- bis fünffach erhöht."

Einerseits waren es die EU-Politiker selbst, die alles unternommen haben, um russisches Gas zu verdrängen. Andererseits wurden sie dabei aktiv von US-Politikern unterstützt, die ihre eigenen Interessen verfolgten.

Was die Strompreise betrifft, die in Europa ebenfalls um ein Vielfaches höher sind als in den USA, so trägt hier allein Brüssel die Verantwortung, obwohl die USA indirekt ebenfalls Einfluss darauf haben. Igor Juschkow erläutert dies wie folgt: 

"In den USA ist Gas kostengünstig, was den Anstieg der Strompreise dämpft. Außerdem verfügen die USA über viele eigene Ressourcen und üben keinen so starken Druck auf die Kohlebranche aus wie in Europa. Die Klimaschutzagenda, Emissionsabgaben und so weiter erhöhen die Stromkosten in Europa. In den USA gibt es keinen so starken Druck, und die Politik behindert die Kohlenutzung nicht, wie es in Europa der Fall ist."

Die EU hat sich dieses Energieproblem also selbst geschaffen, während die USA zustimmend zusahen. Letztendlich war Brüssel gezwungen, ein Knebelabkommen über den Kauf US-amerikanischer Energieressourcen im Wert von 750 Milliarden US-Dollar zu unterzeichnen. Nun hat die EU keine Wahl mehr: Sie wird alles hinnehmen, was die USA ihr anbieten.

Wladimir Tschernow kommentiert:

"Normalerweise gewinnt ein neuer Anbieter den Markt durch Preisnachlässe und flexible Konditionen, aber in diesem Fall ähnelt das Modell des Energiehandels zwischen den USA und der EU eher einem politischen Deal. Die USA haben sich Lieferquoten und feste Bedingungen gesichert, für die die Europäer nun aufkommen müssen. Europa hat nicht nur keine Preisvorteile erhalten, sondern befindet sich auch in der Position eines abhängigen Abnehmers."

Igor Juschkow merkt an:

"Die größte Ungerechtigkeit besteht darin, dass die USA die Europäer dazu gezwungen haben, auf russisches Gas zu verzichten. Dies verschafft einerseits Absatzmärkte für künftige amerikanische LNG-Projekte und hält die Gaspreise innerhalb der EU auf einem hohen Niveau. Andererseits fördert dies auch die Investitionen in neue Projekte in den USA. Für US-Unternehmen ist klar, dass die Gaspreise in Europa auf einem hohen Niveau bleiben werden. Sie investieren daher in neue Projekte sowohl zur Gasförderung als auch zur Gasverflüssigung in den USA."

Ohne das Verdrängen der Konkurrenten wären hohe Gaspreise in Europa nicht zu erzielen, und genau diese hohen Preise sind die Voraussetzung für die Weiterentwicklung der US-Gasindustrie und den Gasexport.

Igor Juschkow äußert sich dazu wie folgt:

"Dies ist ungerecht, da die USA die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte und Waren beeinträchtigen. Durch die anhaltend hohen Energiepreise erhöhen sie die Produktionskosten für in Europa hergestellte Produkte. Dies verschafft vergleichbaren Produkten aus den USA einen Vorteil. Nach und nach verdrängen US-Waren die europäischen Exporte aus den Absatzmärkten."

Mit anderen Worten: Die USA werden nicht nur ihre Gasindustrie und ihre Gasexporte auf Kosten der Europäer stärken, sondern auch die europäischen Waren weltweit verdrängen und durch ihre eigenen ersetzen.

Der Experte erläutert weiter:

"Ein klassisches Beispiel dafür, wie dies funktioniert, stellen Stickstoffdünger dar, die direkt aus Methan hergestellt werden. Wenn die Produktion in den USA bei 150 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter und in Europa bei 400 US-Dollar liegt, ist es logisch, dass die Produktion von Stickstoffdüngern in Europa in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Dagegen ist die Produktion in den USA und Russland gestiegen. Nun erhöhen die Europäer ihre Importe von fertigen Stickstoffdüngern, unter anderem aus Russland."

Die Kosten für Gas, Strom und Brennstoffe machen einen wesentlichen Teil der Produktionskosten aus. Der derzeitige US-Präsident macht keinen Hehl daraus, dass Unternehmen aus Europa in die USA umziehen sollten, obwohl dies einen direkten Schlag gegen die nationalen Interessen der EU darstellt. Doch genau das findet gerade statt.

Igor Juschkow bemerkt diesbezüglich:

"Früher, als Europa russische Energieressourcen erwarb, war die Situation tatsächlich gerechter. Denn allein die Tatsache, dass große Mengen sowjetischen und später russischen Gases geliefert werden konnten, schuf einen Abnehmermarkt, auf dem der Käufer die Wahl hatte. Die Europäer gingen davon aus, dass dies auch weiterhin so bleiben würde. Aus diesem Grund entwickelten sie ein liberales Modell des Gasmarktes. Dieses Modell ist jedoch nur dann für den Käufer vorteilhaft, wenn es auf dem Markt ein Überangebot gibt und die Preise sinken. Aber wenn der Wettbewerb fehlt, führt das liberale Marktmodell zu einem Preisanstieg, wie wir ihn im Jahr 2022 beobachten konnten."

Dank russischen Gases und anderer Energieressourcen konnte Europa zur größten westlichen Wirtschaftsmacht aufsteigen und eine Wirtschaftsunion schaffen. Nun führt die teure Energieversorgung viele Länder in die Rezession, allen voran Deutschland.

Energiekosten: Millionen Deutsche können sie nicht begleichen

Etwa 4,2 Millionen Haushalte in Deutschland konnten ihre Strom- und Gasrechnungen im vergangenen Jahr nicht oder nur mit Verspätung begleichen. Das ist das Ergebnis der Befragung für die Sozialstatistik EU-SILC im Rahmen des Mikrozensus, beruht also auf einer Stichprobe von etwa 370.000 Haushalten.

Das heißt, etwa 5 Prozent der Bevölkerung haben Probleme, die Energiekosten zu begleichen, ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2023, als es 5,4 Prozent der Bevölkerung waren, aber nach wie vor eine deutliche Erhöhung im Vergleich zu 2021, als es auf Grundlage der gleichen Befragung noch 3,7 Prozent der Haushalte waren.

Die Unterschiede zwischen Mieter- und Eigentümerhaushalten waren bei dieser Frage ebenso deutlich, wie sie es auch im Zusammenhang mit der Armutsquote zu sein pflegen. 6,4 Prozent der Bevölkerung in Mieterhaushalten, aber nur 3,4 Prozent der Eigentümerhaushalte waren von diesen Zahlungsproblemen betroffen. Dieses Verhältnis ist eine Konstante – 2021 betrafen diese Rückstände 5 Prozent der Mieterhaushalte, aber nur 2,3 Prozent der Eigentümerhaushalte.

Der leichte Rückgang der Energieschuldner dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Preise für Strom und Gas 2024 ein wenig unter jenen des Jahres 2023 lagen – aber immer noch bei 146,6 Prozent der Preise des Jahres 2021; eine Folge der Erhöhung der CO₂-Abgabe und der Russlandsanktionen.

Weitaus pessimistischer ist übrigens das Bild, das die Zahl der Stromsperren für 2024 vermittelt – hier fand sich ein Anstieg von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, auf 245.000; ähnlich verhielt es sich beim Gas, auch hier stiegen die Sperrungen um 20 Prozent auf 33.700 Fälle. Diese Erhöhung fand übrigens statt, obwohl durch die Änderung der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV), die im Sommer 2024 in Kraft trat, Stromsperren erschwert wurden.

Eine weitere Frage aus dem Katalog der Befragung für EU-SILC, deren Ergebnis das Statistische Bundesamt nun veröffentlichte, war, ob sich die Menschen überraschende Ausgaben, wie einen Ersatz für defekte Haushaltsgeräte, leisten können. Die Frage bezog sich auf Rücklagen von 1.250 Euro. 32,2 Prozent der befragten Haushalte gaben an, über eine solche Summe nicht zu verfügen; auch hier eine leichte Besserung im Vergleich zu 2023, als es noch 35 Prozent waren, aber dennoch ein viel zu hoher Wert.

Erst vor zwei Tagen war bekannt geworden, dass sich mehr als die Hälfte der Deutschen unter 50 in den letzten 24 Monaten Geld geliehen hat, in der Familie (44 Prozent), aber auch als Bankkredit (40 Prozent), um alltägliche Kosten, wie Auto, Lebensmittel oder Kleidung, zu decken. Das ergab die Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts. In einer anderen Umfrage gaben 57 Prozent der Befragten an, ihre Einkaufsgewohnheiten verändert zu haben und mehr bei Discountern einzukaufen.

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