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Wer zündelt mit dem nuklearen Feuer?

2024-07-20 18:52
von Thomas

Ehe man sich der Frage zuwendet, wer derzeit wirklich mit der nuklearen Bedrohung spielt, lohnt es sich, einen Blick zurückzuwerfen, auf einen der bisher gefährlichsten Momente, die Kuba-Krise. Es ist lange her, aber die Geschichte wird im Westen immer noch meist falsch erzählt. Zu meiner Schulzeit (die lange her ist) war diese falsche Erzählung sogar eine der Lektionen im Englisch-Unterricht. Chruschtschow hätte Raketenbasen auf Kuba errichtet, das sei der Auslöser der Krise gewesen, die noch in letzter Sekunde durch sein Nachgeben hätte gelöst werden können.

Was in dieser Geschichte fehlt, sind die Jupiter-Raketen, die die USA zuvor in der Türkei und in Italien stationiert hatten. Die Vereinbarung, die zwischen dem sowjetischen Außenminister Anatoli Dobrynin und dem damaligen Generalstaatsanwalt der USA, Robert Kennedy, geschlossen wurde, beinhaltete nicht nur den Rückzug der sowjetischen Raketen aus Kuba, sondern eben auch den Rückzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei. Eine Tatsache, die, obwohl mittlerweile selbst von hochoffiziellen Publikationen bestätigt, immer noch vergleichsweise wenig bekannt ist; noch sechzig Jahre danach gilt die Sowjetunion als Auslöser der Krise, und nicht die Vereinigten Staaten. Mit dazu beigetragen haben dürfte, dass es streng untersagt wurde, Fotos vom Abzug der Jupiter-Raketen zu machen. Im europäischen Gedächtnis ist es, als hätte es sie nie gegeben.

(Übrigens war wohl selbst der damalige US-Präsident John F. Kennedy nicht offiziell über die Stationierung der Raketen informiert worden, die bereits unter seinem Vorgänger geschah. Larry Johnson erzählte jüngst, auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates der USA habe Kennedy gegen Ende der Beratung in scherzhaftem Ton die Bemerkung gemacht, "es ist ja nicht so, als hätten wir Raketen in der Türkei". Worauf betretenes Schweigen folgte, und danach das Eingeständnis, es gebe sie doch).

Auch zum gegenwärtigen Ukraine-Konflikt gibt es eine Vorgeschichte. Ray McGovern hat sie jüngst in einem Artikel in Consortium News (Achtung, der Knopf, um diesen unmöglichen automatischen Übersetzer auszuschalten, befindet sich links unten) in Erinnerung gebracht.

Noch am 30. Dezember 2021 hatte US-Präsident Joe Biden dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat zugesichert, die Vereinigten Staaten würden keine Nuklearraketen oder nuklearfähigen Raketen in der Ukraine stationieren. Die betreffende Passage aus der Zusammenfassung lautet:

"In diesem Zusammenhang betonte Joseph Biden, dass Russland und die USA eine besondere Verantwortung dafür trügen, die Stabilität in Europa und der ganzen Welt zu sichern, und dass Washington keine Absichten habe, in der Ukraine offensive Angriffswaffen zu stationieren."

In einem Interview vom 19. April dieses Jahres erzählte Russlands Außenminister Sergei Lawrow, wie lange diese US-amerikanische Zusage hielt. Im Januar 2022 traf er sich in Genf mit US-Außenminister Antony Blinken.

"Ich erzählte Antony Blinken von unserem Bündel von Vorschlägen. Sie machten sich Sorgen um die Entwicklungen rund um die Ukraine, obwohl sie diejenigen waren, die eine Krise schufen. Er sagte, NATO käme nicht in Frage. Wir sollten jedoch irgendwie in Bezug auf unseren Vorschlag zu Mittelstreckenraketen einen Weg finden, da die nun auch in der Ukraine stationiert werden könnten (da sie nicht länger verboten sind), und die Vereinigten Staaten wären bereit, ihre Zahl in der Ukraine zu begrenzen."

In weniger als einem Monat von der Zusage, keine Raketen in der Ukraine zu stationieren, hin zu einem "Verhandlungsangebot" über eine Begrenzung ihrer Menge… und zwei Wochen später der Moment, der vor diesem Hintergrund eine ganz andere Qualität gewinnt, der Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz, bei dem dieser – vom versammelten westlichen Publikum unwidersprochen – erklärte, sein Land brauche Atomraketen.

Nun, wenn man das Kommunikationsmuster, das man im Zusammenhang mit der Lieferung konventioneller Waffensysteme vom Westen kennt, gewissermaßen auf die Vorgeschichte überträgt, würde die Kombination dieser Aussagen nicht nur bedeuten, dass die USA ernsthaft beabsichtigen, atomare Raketen in der Ukraine zu stationieren, sondern dass sie vermutlich mindestens bereits in den Vorbereitungen für diese Stationierung stecken. Schließlich passierte es mehrfach, dass die Lieferung bestimmter Waffensysteme erst dann vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wurde, wenn diese bereits in der Ukraine eingetroffen waren.

Was dann gleichzeitig bedeuten würde, dass die Kombination dieser Aussagen, Blinkens bizarre "Verhandlungsbereitschaft" und Selenskijs Aussage auf der Münchner Sicherheitskonferenz, eine Situation schufen, die nicht einfach nur eine Bedrohung für Russlands Sicherheit darstellte, sondern eine unmittelbare, akute Bedrohung, gegen die mit allen Mitteln vorgegangen werden musste.

Die Vorgeschichte dazu beginnt im Februar 2019, als die Vereinigten Staaten den INF-Vertrag kündigten. Die Bedeutung dieses Vertrags erläuterte damals selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung relativ zutreffend:

"Der ­INF-Vertrag hatte eine destabilisierende Waffenklasse aus Europa und anderen Regionen verbannt. Er verbot Russland sowie elf weiteren ehemaligen ­Sowjetrepubliken und den ­USA den Besitz, die Produktion und das Testen landgestützter – jedoch nicht luft- und see­gestarteter – ballistischer Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern sowie ihrer Startvorrichtungen. Solche in Europa stationierten Systeme hatten sehr kurze Flugzeiten von wenigen Minuten bis zu ihren Zielen. Die knappe verbleibende Reaktionszeit für militärische und politische Entscheidungsträger, um effektiv auf einen Angriff zu reagieren, erhöhte aus Expertensicht das Risiko für Missverständnisse, Fehlkalkulationen und den Anreiz für Präventivschläge."

Für die russische Seite waren insbesondere die Aegis Ashore-Einrichtungen in Polen und Rumänien Gegenstand des Misstrauens. Diese Startanlagen könnten, so die russische Vermutung, nicht nur die Abwehrraketen SM-3, sondern auch Tomahawk-Marschflugkörper, auch mit nuklearer Bestückung, einsetzen. Ohnehin war die Begründung der USA, diese Anlagen sollten iranische Raketen abwehren, von vorneherein fadenscheinig.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung folgte damals, was nicht überrascht, der US-amerikanischen Argumentation. Aber sie protokollierte durchaus, dass die USA, als ihnen im Januar 2019 eine Inspektion der Raketen angeboten wurde, die sie als Verstoß Russlands gegen den INF-Vertrag anführten, abgelehnt haben. Und aus heutiger Sicht höchst überraschend ist dann dies:

"Außerdem hätten die ­USA Russland eine In­spektion ihrer Aegis-Raketenabwehrstellungen in Polen und Rumänien anbieten können, um zu demonstrieren, dass die dort installierten MK-41 ­VLS-Senkrechtstartanlagen nicht zum Abschuss von Marschflugkörpern geeignet sind und dieser Raketentyp dort auch nicht stationiert ist. Auch diese Option wurde nicht bemüht."

Diese Kündigung des INF-Vertrages ist es, auf die sich Antony Blinken mit der Bemerkung bezog, sie seien nicht länger verboten. In diesem Kontext ist absolut klar, dass hier von Raketen mit atomarer Bestückung geredet wird.

Und es ist nicht so, als wäre das nukleare Thema seitdem von westlicher und ukrainischer Seite nicht immer wieder ins Gedächtnis gerufen worden. Auch die unzähligen Angriffe auf das Atomkraftwerk Energodar, die im Westen nach wie vor als rätselhafter russischer Selbstbeschuss erzählt werden, gehören dazu; als Erinnerung daran, dass sich jedes Atomkraftwerk und jeder Lagerplatz für nuklearen Abfall in eine schmutzige Atomwaffe verwandelt lässt, die zwar keine mächtige Explosion liefert, aber große Gebiete verseucht.

Das ist gewissermaßen die Leinwand, auf die mit den Angriffen auf Einrichtungen des russischen Frühwarnsystems weitere Pinselstriche gesetzt werden. Angriffe, die für die Ukraine militärisch überhaupt keinen Sinn machen, sondern nur im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Erstschlag. Was natürlich gleichzeitig bedeutet, dass Russland es wie ein Anzeichen für einen drohenden Erstschlag behandeln muss, und demzufolge selbst minimale Schäden mindestens die nukleare Bereitschaft heraufsetzen.

Genau diese Reaktion wird dann dem westlichen Publikum unter der Überschrift verkauft, "Russland droht mit Atomraketen". Eine Verkehrung der Tatsachen, wie man sie schon seit der Kuba-Krise praktiziert. Dummerweise ist es genau diese verdrehte Erzählung, die den dringend erforderlichen Widerstand der Bevölkerung im Westen gegen diese fortgesetzte Eskalation erschwert.

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