Wechselbasis
Wieder einmal war ein Zug Spezialaufklärer zur Komplexausbildung unterwegs. In der Dübener Heide wurde von den drei SAG erfolgreich das “Einsickern”, Annähern und Aufklären von Führungsständen sowie das Abschütteln von Verfolgern absolviert. Alles lief nach Plan und die gute Gesamtnote für die Ausbildung war schon fast abgehakt. Der letzte Teil des Komplexes jedoch hatte noch einmal eine unerwartete Überraschung.
Dem Zugführer wurde als Einlage gegeben, dass weder die Basis noch die den Gruppen befohlene Wechselbasis bezogen werden kann. Folgerichtig erhielten die Gruppenführer in dieser Nacht per Funk die letzte Weisung eine andere als ursprünglich festgelegte Wechselbasis anzulaufen. Außerdem wurde bis zum Abschluss der Übung “Funk-Sende-Verbot” erteilt.
Was zu diesem Zeitpunkt keiner wusste: Die Koordinaten der Wechselbasis befanden sich innerhalb eines kleinen abgelegenen geheimen Stützpunktes der GSSD in einem großen geschlossenen Waldgebiet westlich von Torgau.
Die Kraft- und Ausdauerreserven unserer Spezialaufklärer hatten schon tüchtig gezehrt und auch die Konzentrationsfähigkeit nach zwei Tagen “gefechtsmäßigen Verhalten im Hinterland” ließ nach. Das änderte sich jedoch schlagartig, als fast am Ende der Komplexausbildung vor der letzten Station ein neuer “Gegner” das normale Beziehen der Wechselbasis nicht zuließ. Unsere Kämpfer bemerkten recht schnell, dass es sich hier um ein Militärobjekt der “Freunde” handelte. Diese Objekte der GSSD waren auf unseren mitgeführten VVS-top. Karten nicht eingezeichnet.
Sollte sie hier rein? Es wäre nicht das erste Mal. Aber Vorsicht, mit denen war absolut nicht zu spaßen. Den mithandelnden Offizieren war klar, dass es jetzt ungeplant “gefechtsnah” wurde.
Es war etwa 01:00Uhr und sternenklar, als wir beschlossen zu erkunden, ob das Objekt rings um gleichermaßen gesichert war. Dazu wurden Spähpaare gebildet.
Um es vorweg zu nehmen:
Die Komplexausbildung wurde ohne das Beziehen der Wechselbasis beendet.
In Erinnerung wird jedoch allen bleiben, was sich nach 01:00Uhr abspielte.
Die Wache des Objekts bekam etwas mit, worauf die GSSD-Leute Alarm auslösten. Alle ihrer scheinbar verfügbaren Leute wurden an die Außenzäune mit Doppelgläsern zur Beobachtung befohlen. Und jetzt muss man sich vorstellen:
Militärposten eines geheimen Stützpunktes der GSSD westlich von Torgau bemerkten in dunkler Nacht sich an ihr Objekt annähernde Gestalten. Aus ihrer Sicht keine Übung! Aus ihrer Sicht auch kein Revierförster oder verirrtes Liebespaar. In Verhalten und Aussehen auch keine eigenen Leute oder NVA. Seltsame Bekleidung und Ausrüstung, schwarz in den Gesichtern und kaum klar zu identifizieren! Im sowjetischen Handbuch “Gegnererkennungsdienst” nicht verzeichnet! Offensichtlich westliche Agenten oder NATO-Spione! Der Feind näherte sich von allen Seiten! Wie viele waren es? Was haben die mit uns vor?
Natürlich bemerkten wir draußen, dass unser Tun entdeckt war und dass damit die letzte Aufgabe, egal wie man es sieht, nicht erfüllt werden konnte. Aber lehrreich und aufregend für alle Beteiligten war es allemal.
In dieser Nacht gingen heiße Funksprüche nach Wünsdorf und weiter per Spezialnachrichtendienst. Es wusste ja niemand von unseren Aktivitäten in dieser Nacht. Kein Diensthabender Offizier eines Wehrkreiskommandos, Volkspolizeikreisamtes, Kreisdienststelle des MfS, kein OpD einer NVA-Division und auch unsere Militärabwehr konnte bestätigen, dass es “eigene Aufklärer” waren und keine Klassenfeinde, die im Torgauer Wald keinen Russen schlafen ließen. Erst als dieses “besondere Vorkommnis” die Meldehöhe 3 übersprungen hatte und am nächsten Morgen über die Chefs der Stäbe und Chefs Aufklärung auch die Anfrage an die in der NVA damals noch sehr unbekannte SAklK kam, wer wann wo unterwegs war, gab es im Sowjetischen Oberkommando und bei unserer Militärabwehr Entwarnung.
Zu diesem Zeitpunkt war die Vollzähligkeit unserer Bewaffnung, Ausrüstung und Munition überprüft, eine erste Auswertung getroffen und den Aufklärern Nachtruhe befohlen . . .
„Aufklärer zu sein, in kleinen Trupps zu marschieren und eine Freiheit zu genießen, wie sie bei anderen Truppenteilen undenkbar ist …“ (aus: „Stern“ von E. Kasakewitsch)
*** Kameradschaftliche Grüße an alle FSJ, KS, FAkl, SpezAkl und SAkl