Winterliche Tarnung
Winterurlaub? Von wegen … Winterfeldlager hieß die Maßnahme, die einmal im Jahr – meist im Februar – auf uns zukam.
Gefechtsausbildung unter winterlichen Bedingungen im Mittelgebirge! Schon die Vorbereitungen waren für die Soldaten und Vorgesetzte der totale Stress. Aber der Gedanke, endlich mal für ein paar Wochen von der Insel zu verschwinden, erfüllte den einen oder anderen Fallschirmjäger mit Vorfreude. Man sah mal etwas anderes als immer nur Wasser, Strand und nackte Weiber. Verlegt wurde per Eisenbahntransport. Abgangsbahnhof Prora – Zielbahnhof war Ilmenau im Thüringer Wald.
Wir schreiben das Jahr 1973 und ich bin in der 2.FJK/3.Dienstjahr. Die Kompanie hat einen neuen Kompanie-Chef und einen neuen Hauptfeldwebel. Für uns Unteroffiziere wird es dadurch noch stressiger.
Am Vormittag wird verladen. Dann werden die Kompanien auf die Waggons verteilt. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube 20 Mann, also ungefähr ein Zug mit Zug- und Gruppenführer in einen Waggon. Und ohne Wache läuft gar nichts. Bewacht wird der gesamte Transport bei allen Zwischenstopps auf Bahnhöfen und bei Halts auf freier Strecke. Die Wache hatte deshalb einen Extra-Waggon. In den Mannschaftswaggons wurden nur Brandwachen eingeteilt – für die Zeit der Nachtruhe. Irgendwann ging es dann los.
Meist in den frühen Abendstunden setzte sich der Zug in Bewegung. Die Stimmung war gut, fast wie in einem FDGB-Urlauberzug. Die Waggontür wurde in 2er-Reihe belagert, denn jeder wollte erleben, wenn der Zug den Rügendamm passierte und dann in Richtung Süden, durch fast jedermanns Heimat fuhr.
Nun, es war aber Februar/März, des Nachts wurde es kalt und so wurden dann bei Zeiten die Türen geschlossen und die Jäger setzten sich in einem Kreis um den ollen Kanonenofen, der mitten im Waggon stand, herum. Nach dem Essen kam die Stunde der Witze- und Episodenerzähler. Das Ofenrohr glühte, nicht nur von der Hitze des Feuers, bis unter das Waggondach und im Waggon machte sich wohlige Wärme breit. Einige Jäger schliefen bereits, andere hielten bis spät in die Nacht am warmen Ofen durch. Es blieb nicht aus, dass beim Nachlegen von Kohlen „rein zufällig“ eine Platzpatrone mit in den Ofen wanderte. Ergebnis war ein lauter Knall, Funken stoben und … die schlafenden Kameraden drehten sich verärgert auf die andere Seite.
Ich habe aber auch erlebt, wie beim Nachlegen von Brennstoff eine Büchse Chesterkäse „rein zufällig“ den Weg ins Öfchen fand. Kameraden … ich sage Euch, die Wirkung war verheerend: Die Ofenklappe flog mit einem lauten Knall auf, das Ofenrohr wurde vom Ofen getrennt und fiel mit Gedonner neben dem Ofen auf den Waggonboden. Im Nu war die Bude blau und die schlafenden Kameraden fuhren erschrocken hoch, weil sie glaubten, der „Leibhaftige“ sei durch das Ofenrohr in den Waggon gefahren. Das war geil!!!
Seit diesem Erlebnis bin ich auch in der Lage den Begriff „Kanonenofen“ zu erklären und wusste, dass auch unsere NVA über „Geheimwaffen“ verfügte, diese auch in regelmäßigen Abständen der Truppenerprobung zuführte …
Die Fahrt ging im Prinzip kreuz und quer durch die DDR. Längere Aufenthalte dienten unter anderem zum „Bunkern“ von Brennstoffen – aller Art. Es gab auch Fälle, wo Kameraden während der Verrichtung ihrer Notdurft mit ansehen mussten, wie sich der Zug langsam in Bewegung setzte. Da hat so mancher endlich erkannt, dass die Mädels besser dran waren, denn mit hochgehaltenem Rock kann man besser rennen als mit heruntergelassener Hose. Aber dank ihrer sportlichen Fähigkeiten und unter den „Anfeuerungsrufen“ ihrer Kameraden, gelang es jedem, meist noch mit halb herunterhängender Kampfanzughose, einen Waggon zu erreichen. Die es nicht schafften, fanden dann solidarische und unbürokratische Untersützung bei den Genossen der Deutschen Volkspolizei, die dann endlich mal die Gelegenheit hatten, dem Lada die „Brust“ zu geben. Also eine beidseitig willkommene Abwechslung. Dumm war nur der daran, der an einen ABV geriet. Auf dem kleinsten „Viehtransporter des RGW“ – Ihr wisst ja noch: Die Schwalbe – passen zwei Bullen drauf! – war wirklich wenig Platz, wenn vorne ein „alteingesessener“ Genosse dieser Gattung saß.
In der Regel brauchten wir auch noch den ganzen nächsten Tag um unseren Zielbahnhof zu erreichen. Das Landschaftsbild hatte sich inzwischen geändert. Es lag Schnee und der wurde immer mehr. Als wir den Zielbahnhof in Ilmenau erreichten war es bereits wieder dunkel. Jetzt konnten unsere ausgebildeten Militärkraftfahrer zeigen, was sie drauf hatten.
Nach der Entladung ging es noch einige Kilometer in Richtung Tambach-Dietharz. Dort angekommen, kamen wir in ein in der Nähe des Rennsteigs gelegenem GST-Lager unter. Wir schliefen in Bungalows, es gab einen Speisesaal und eine Waffenkammer.
In der Nähe gab es eine Kneipe, das „Vier-Pfennig-Haus“. Eigentlich gleich neben dem Lager. Unsere Vorgesetzten hatten ein Herz für den Kneiper und der hatte ein Herz für die Soldaten. So kam jeder zu seinem Recht …
Tagesablauf wie in der Kaserne: Morgenappell – Ausbildung – Mittag – Pflege und Wartung der Waffen und Ausrüstung – für uns Dienstvorbereitung – Dienstausgabe – Freizeit.
Ausbildung hieß in erster Linie „Einsatzgruppen Thematik im Mittelgebirge/Winter“. Auf Schiern durch den verschneiten Thüringer Winterwald in weißem Schneehemd, auf weißen Schiern mit grünem „Rallye-Streifen“ und Stahlkanten – das war was. Und immer auf der Suche nach einem Hang zum „Wedeln“. Da uns aber am Tag, in der normalen Ausbildung immer die Zeit im Nacken saß, mussten wir dieses Vergnügen auf das Wochenende verschieben, d.h. Sonnabend, Sonntag wurde für das allgemeine Ski-Vergnügen genutzt. Immerhin war mir, als ein im 5-km-Sperrgebiet und im schönen Harz – also in einer relativ schneesicheren Ecke – groß gewordenen Menschen das Skilaufen nicht ganz fremd … aber Wedeln!? Das war dann doch nicht ganz mein Ding. Also entschlossen wir uns, d.h. Stabsfeldwebel N., Feldwebel R. und ich, zu einer schönen ausgedehnten Skiwanderung entlang des Rennsteiges. So stapften wir also an einem Sonntagmorgen hintereinander durch den tiefverschneiten Winterwald. Wir hielten uns etwas abseits der FDGB-Loipen und genossen die herrliche Ruhe der verschneiten Wipfel.
Irgendwann gabelte sich aber der Waldweg auf dem wir liefen. Ein Weg führte schräg am Hang entlang nach unten und … wir entschlossen uns spontan diesen zu nehmen. Es waren weit und breit keine Spuren zu sehen, unten konnten wir einen Bach erkennen über den eine Brücke führte und davor befand sich ein kleiner freier Platz.
Es lagen gut 50-60 cm Schnee und Feldwebel R. zögerte etwas, den Weg als erster hinunter zu fahren. Also entschloss ich mich den beiden zu zeigen, wo der Hammer hängt und stieß mich ab. Leicht nach vorn gebeugt hielt ich stramm auf die Brücke zu und bekam auch ganz gut Fahrt drauf. Ungefähr 10 m vor der Brücke … war meine Fahrt plötzlich abrupt zu Ende. Sterne … ein wahnsinniger Schmerz, der mir in beiden Beinen nach oben schoss. Ich fand mich im Schnee liegend … wusste aber nicht was los war. Ich hatte zu dieser Stunde nichts getrunken, spürte nur den Schmerz in den Schienbeinen.
An meinem rechten Sprungschuh baumelte die gesamte Bindung. Sie war aus dem Ski herausgerissen. Meine Kameraden halfen mir auf die Beine. Was passiert war?! Der Weg, den ich nach unten gefahren, war ging leicht nach rechts weg … während ich geradeaus auf die „Brücke“ zugefahren war. Die vermeintliche Brücke war aber nicht das wonach sie aussah sondern angestaute Äste und ähnliches. Und dieser kleine freie Platz war ein Rastplatz auf dem eine – im Schnee versunkene – Bank stand. Diese „abgetarnte“ Sitzgelegenheit entpuppte sich als „Panzersperre“ … meine Bretter hatten sich in voller Fahrt unter diese geschoben und meine schöne Fahrt jäh beendet. Das war’s dann. Humpelnd und unter Schmerzen – Feldwebel R. trug meine Schier bzw. was davon übrig war – erreichten wir das Lager. Das Mitleid der EK’s war, wie bei meinem Sprint mit dem Motorrad, einfach umwerfend. Weiter will ich ihre „aufrichtige Anteilnahme“ an meinem Unglück nicht weiter beschreiben. Stgfr. Jungtorius, Stgfr. Weigelt und Stgfr. Schulz (Otto) – sie grinsen sicher heute noch darüber – können sich bestimmt noch gut an diese kleine Episode erinnern.
Am nächsten Morgen, nachdem ich meinem Kompaniechef ein paar Schienbeine gezeigt hatte, die blau gefärbt waren bis unter die Knie, wurde ich nach Gotha ins Militärlazarett gebracht. Dort durfte ich mich dann drei Tage von meiner Skiwanderung im schönen Thüringer Wald erholen.
Zurück im Lager, empfing mich mein Zugführer Leutnant Seedorf mit einem Lächeln im Gesicht. „Na Feldwebel Sagan, alles wieder klar?“ Ich sah aber die Schadenfreude in seinen Augen blitzen … aber … enige Tage später!
Während einer Einsatzgruppenübung, „fiel“ auch er dem Schnee des Thüringer Waldes zum Opfer. Allerdings kein „ruhmreiches“ Ereignis, das es lohnt der Nachwelt zu erhalten!
So war das damals, vor rund 40 Jahren … ein harter Winter mit eingeschneiten Überraschungen.
Euer „Schneemanne“ Sagan